DER HEIDENTEMPEL ZU STEINDORF

Nach einer uralten Sage soll einstens in Steindorf ein heidnischer Tempel gestanden sein und das Staudingergut ist angeblich zur Hälfte auf diesem Tempel erbaut. Im Hausgarten des Staudinger befinden sich noch Grundmauern eines großen altrömischen Gebäudes. Sie sind freilich heute längst vom Rasen überwachsen. Als im Jahre 1759 der alte Staudingerbauer Georg Bogensperger gezwungen war, einen neuen Stall zu bauen und er hiezu notwendig Steine brauchte, die er mit großen Kosten aus der Ferne hätte herbeischaffen müssen, da fiel ihm die alte Sage ein, welche erzählte, daß bei ihm ein heidnischer Tempel gestanden sei. Als er nun in seinem Hausgarten Nachgrabungen anstellte, stieß er überall auf bedeutende Mauerreste. Er grub neben anderen Mauersteinen auch viele viereckige und rundbehauene Säulenstücke aus. Auch eine große steinerne Tischplatte ist bei diesen Nachgrabungen zutage gefördert worden. „Wenn ich Bausteine brauche", sagte der Staudinger, „so dürfte ich nur in meinem Hausgarten in den Grund zu graben. Kalkmörtel und behauene Steine kommen da überall und gar nicht tief zutage; es muß also ein großes Gebäude einst dagestanden sein, und ich glaub es recht gerne, wie die Leute sagen, daß hier ein Heidentempel gewesen sei." In Steindorf wurde auch ein Teil des Untersatzes einer Ara (Altar) mit mythologischen Figuren gefunden und in das Museum nach Salzburg gebracht.

Diese Sage hat einen gewichtigen historischen Hintergrund, wenn man bedenkt, daß in der Nähe dieses Ortes sich einst der Knotenpunkt zweier römischer Heerstraßen befand, die sich, die eine von Kärnten, die andere von Steiermark kommend, bei Mauterndorf, eine halbe Stunde von Steindorf entfernt, vereinigten, um dann gemeinsam über den Radstädter Tauern nach Salzburg, dem alten römischen „Juvavum", weiterzuführen. Es kann hier also sehr wohl eine römische Ansiedlung und ein den Heidengöttern geweihter Tempel gestanden sein.


Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 26