DER GAMSHOFBAUER

Einmal, so erzählte ein altes Weiblein aus dem Lessachtale, sei das Thurnschallweibl zur Mitternachtsstunde zum Gams-hofbauern in Lessach gekommen, habe ihn geweckt und zu ihm gesagt, er solle schnell seine besten Ochsen in den stärksten Wagen einspannen und hinaus nach Thurnschall fahren, dort werde es ihm von den Schätzen geben, soviel er aufzuladen vermöge, doch solle er beileibe zu niemandem etwas sagen, auch zu seinem Weibe nicht. Der Bauer war nicht saumselig, sondern machte sich alsogleich daran, dem Rufe des Thurnschallweibls Folge zu leisten. Er kleidete sich rasch an und wollte sich eben in den Stall begeben, um die Ochsen einzuspannen, als sein Weib — wohl durch das Geräusch, das er beim Ankleiden verursacht hatte — erwachte und ihn fragte, was er denn vorhabe, daß er zur mitternächtigen Stunde so herumrumore. Der Bauer gab ausweichende Antworten, aber sein Weib gab nicht nach, sondern bat und flehte solange, bis er ihm das Geheimnis mitteilte. Als das Thurnschallweibl, das draußen vor der Türe gewartet hatte, dies hörte, stieß es einen lauten Schrei aus und verschwand unter Jammern und Klagen im Dunkel der Nacht. Der Gamshofbauer ist dann wohl hinausgefahren, um, wie er hoffte, von den Schätzen dennoch etwas zu erhäschen, mußte aber wieder mit leerem Wagen heimkehren, denn von den Reichtümern bekam er nicht das mindeste zu Gesicht.


Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 80