Die Nachtsendin

Wenn eine Sendin recht nachlässig ist, viel Milch verschüttet, verpraßt oder verderben läßt, so muß sie nach ihrem Tod als Geist "nacharbeiten", das heißt, sie muß alles, was durch ihre Schuld zugrunde gegangen ist, zu Butter und Käse verarbeiten.

So erzählt man sich an vielen Orten, daß dort die Nachtsendinnen beim Anbruch der Nacht ihr Werk auf einsamen Almhütten betreiben und daß sie nur dann erlöst werden können, wenn der ganze Vorrat, den sie in einer Nacht bereitet haben, bis zum ersten Hahnenschrei von unbescholtenen Menschen aufgezehrt ist. Mancher Jäger und Wildschütz, der an einer abgelegenen Hütte vorbeikam, will die Nachtsendin rufen gehört haben:

"Jaga auf da Host'n,
Magst net an Rührmüli kosten?"

Hat der Jäger genügend Schneid, dem Ruf der Nachtsendin zufolgen und ißt er wacker aus ihrem Vorrat, dann ist die Nachtsendin erlöst.

Quelle: Karl Adrian, Alte Sagen aus dem Salzburger Land, Salzburg 1948, S. 82, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 127.