Der heilige Brunnen in Gmunden

Es ist etwas Rührendes, Mittheilungen aus dem Volke zu lauschen, zugleich gar oft hohes Interesse gewährend, in den Enthüllungen einer längst vergangenen Epoche. Unsere Zeit, ganz gewiß von manchen Schwächen befangen, von welchen keine Periode frei geblieben - ist doch von vielen Vorzügen begleitet, worunter das schöne Streben, vaterländische Denkmale zu erforschen, wo selbe nur mehr in Resten bestehen, zu erhalten, Volkssagen, welche immer und immer sich auf Begebenheiten stützen, wach zu rufen und zu sammeln, damit durch Bruchtheile, in Stein und Sprache, sich möglichst ein Ganzes entfalte, und uns belehre über die Thaten und das Vorleben unserer Väter.

Ein recht anmuthiger Gang ist der zum "heiligen Brunnen". In einer freundlichen Lage und Umgebung ist die dortige Kapelle so lieb und fromm dahin gestellt, daß uns der Anblick immer recht wohl that, und freundlichstmilde zur Andacht stimmte.

Durch einen glücklichen Zufall erhielten wir aus dem Munde eines alten biederen Mannes eine schlichte Mittheilung über Brunnen und Kapelle, und namentlich empfingen wir die schöne "Sage", woher diese Quelle die "Heilige" sich benenne.

Damit nun unserem freundlich reizenden Städtchen diese Sage nicht verloren gehe, welches gewiß der Fall, wenn sich der bejahrte Mund, aus welchem diese Eröffnung geflossen, schließe - so wollen wir schlicht und einfach wiedergeben, was wir eben so empfingen.

Mehrere Jahrhunderte sind verflossen, als das damals bedeutsame Geschlecht der Mühlwanger das heutige Schloß Mühlwang besaß. Schon im Jahre 1356 war ein Eberhard Mühlwanger Stadtrichter in Steyr.

Diese Mühlwanger waren Eigenthümer der Quelle, welche wir besprechen, und einige Bezugsberechtigte hatten Theil daran. Nun ergab sich, daß zwischen Eigenthümer und Berechtigten Streit und Hader entstand. Der Eine wollte nicht gewähren, was die Andern mit Fug und Recht zu fordern wähnten. Die damalige Zeit aber hatte auch nicht immer Sonne, sondern manchen Schatten, worunter brutale Ausbrüche von Rohheit noch nicht wie jetzt durch straffe, in allen Theilen gegliederte Gesetze gezügelt und gelähmt waren.

Es ward eine Zusammenkunft an der Quelle in Vorschlag gebracht, um an Ort und Stelle sich auszugleichen und zu vertragen. Anstatt aber friedlich zu schlichten und zu enden, wurden die Gemüther während der Besprechung so aufgeregt, daß Rohheit sich ungezähmt Bahn brach, - und das Wasser, rein, herrlich und unbefleckt, sich mit Blut färbte. - Von diesem Augenblicke versiegte die Quelle!

Banges Entsetzen ergriff die Thäter und die Stadt. - Das Wasser, welches alle Bewohner erquickte, und einen Haupt-Faktor des Lebens bildet, - blieb ferne und war verschwunden. Man hoffte von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, daß es wiederkehre, und als alles Hoffen zu nichte, die Bedrängnis der Bewohner der Stadt auf das Höchste stieg - wendete man sich, so wie in allem Drange der Noth, an Gott, und beschloß, betend in Prozession, den Priester an der Spitze, dahin zu wallen - um durch Andacht und Bitte zu sühnen, was frevelnde Hände verschuldet.

Und hinaus zog der greise Priester mit der gläubigen Menge, alle Glocken gaben Laute zum Lobe des Herrn. - Fast Niemand blieb in der hart betroffenen Stadt, denn Alles eilte um durch Gebet auszugleichen, was Rohheit vollzogen. - Als das Gebet, welches wohl nimmermehr mit höherer Andacht gesprochen, zu Ende - als das Volk knieend den Segen des Priesters empfangen - siehe, da vernahm man ein leises Rauschen, und als die Blicke sich dahin gewendet, von wannen dieses käme, erblickte man, von der auftauchenden Sonne beleuchtet, im schönsten Glanze die fröhlich und heiter sprudelnde Quelle, als wolle sie durch ihren Glanz und Lebhaftigkeit das Volk über die bittere Vergangenheit trösten und beruhigen.

Zum Danke dieser Gottesgnade wurde die dortige Kapelle, freilich durch Jahrhunderte nicht mehr in ursprünglicher Gestalt erbaut, und leitet sich der Name der "heilige Brunnen". Also diese liebe, fromme "Volkssage".

Quelle: Volkssagen und Schilderungen prachtvoller Gebirgsausflüge aus dem k. k. Salzkammergute. J. Lechner, Wien 1859, S. 1 - 3.