GLOCKENREIFSAGE

Vor dem Hause am Hauptplatz 36 ist ein eiserner Ring mit der Jahreszahl 1693 in den Boden eingelassen. Er gemahnt daran, daß in diesem Jahre die „Kaiserin", die den Heiligen Sebastian und Florian geweihte größte Glocke der Stadtpfarrkirche, neu gegossen und vor dem Hause des damaligen Bürgermeisters und Handelsherrn Johann Adam Pruner vor dem Aufziehen zur Schau gestellt wurde.

Die Sage knüpft an diese geschichtliche Tatsache folgende Liebesgeschichte:

Der schwerreiche Handelsherr und gestrenge Herr Bürgermeister wies den jungen, armen Spielmann Fidel als Bewerber um die Hand seiner einzigen Tochter ab, weil er deren Hand einem alten, vermögenden Ratsfreunde zugesagt hatte. Als Fidel trotzdem wieder einmal seiner Angebeteten ein abendliches Ständchen brachte, drohte der wütende Vater sogar, er werde auf den unwillkommenen Freier durch den Stadtbüttel mit Bolzen schießen lassen, falls dieser es nochmals wagen sollte, ein Ständchen zu bringen. Ja er setzte in seiner Wut die Hand der Tochter zum Pfände, falls dem Spielmann ein solcher Versuch gelänge.

Der kecke Freier versteckte sich auf den Rat seiner schlauen Geliebten nun unter der großen, auf Bohlen vor dem Hause aufgestellten neuen Pfarrglocke und brachte dort ungehindert und ungefährdet seine musikalische Werbung vor. So blieb dem Herrn Vater nichts anderes übrig, als gute Miene zum guten Spiel zu machen. Er hatte es übrigens nicht zu bereuen. So manches frische Enkelkind zauste dem gestrengen Herrn Bürgermeister noch den grauen Bart.


Quelle: Stürzl Rosa, Der Fidel von Passau und das Linzer Geläute. Linzer Tages-Post. Welt und Heimat, 1939, 7, 13. 5.; S. 6.
Heimatland [Beilage des Linzer Volksblattes] 1926, 1. 8. S. 244.


aus: Hans Commenda, Sagen in und um Linz, in: Oberösterreichische Heimatblätter, Jahrgang 21, 1967, Heft 3/4, S. 27 - 74.