An Stoanbru´ darennt...

Besieht man sich heute den Franziszeischen Kataster von 1830, dann erkennt man darauf noch, dass früher – als der Andrästeinbruch noch nicht so groß war – ein Weg von Ruprechtsberg kommend neben dem Steinbruch vorbei in Richtung Kirche verlief. Dieser Weg war einer der vielen Kirchenwege, die man früher kannte und von den Menschen genutzt wurden. An besagtem Weg steht heute noch ein altes eisernes Kreuz, das an folgendes Ereignis erinnert: Drängend pfiff der Wind nächtens gegen das Fenster einer allein stehenden Frau aus Ruprechtsberg, die in ihrem Bett lag und schlief. Ein heftiger Schneesturm tobte und der starke Wind war durch die undichten Fenster dringend auch im Zimmer zu spüren. Schon die ganze Nacht über konnte die Frau nicht schlafen, vor allem auch weil sie das Heulen und Jaulen von Wölfen und Hunden zu vernehmen glaubte. Laut erschrak sie, als plötzlich irgendetwas an ihr Fenster krachte. Zuerst erschrocken unter der Bettdecke verschwunden, fasste sie doch den Mut um nachzusehen. Im Licht der Morgendämmerung erkannte sie die Umrisse eines schwarzen Raben der wohl wegen dem Sturm gegen ihr Fenster geflogen und den Tod gefunden hatte. Ihren Blick von toten Raben gehoben und umherschweifend erhaschte sie im dichten Schneesturm die dunklen Umrisse von Menschen. Sofort kam ihr in den Sinn, dass es vermutlich die Nachbar waren, die sich auf dem Weg in die Kirche befanden. Sie musste verschlafen haben. Eiligst kleidete sie sich an und drängte hinaus, um nicht zu spät zur Sonntagsmesse zu kommen. Schemenhaft konnte sie in der Ferne noch die Umrisse der dunklen Schatten erkennen. Wenn sie sich beeilt, dann könne sie sich ihnen vielleicht noch anschließen. Jedoch so sehr sie sich auch bemühte um sie einzuholen, jedes Mal wenn sie das Tempo ihres Schrittes erhöhte, was nicht einfach war, musste sie doch gegen den Schneesturm ankämpfen, dann schienen auch die dunklen Schatten ihr Tempo zu erhöhen. Schreien konnte sie vergessen, denn der Sturm ließ jeden Tom aus ihrem Munde verstummen. Stapfend durch den tiefen Schnee setzte sie ihren Weg fort, jedoch umso näher sie dem Wald kam, der zwischen Ruprechtsberg und Enzenkirchen lag, desto stärker wurde der Sturm und desto weniger konnte sie sehen. Den ersten Schritt im Wald getan vernahm sie mit einem Male auch wieder jenes Jaulen und Heulen, das sie die ganze Nacht zu hören glaubte. Aber es konnten höchstens Hunde sein, denn Wölfe waren in Enzenkirchen schon seit Generationen nicht mehr gesehen worden. Ihre Hoffnung, dass im Wald der Schneesturm nachließe, erfüllte sich nicht – eigenartigerweise wurde er noch stärker und auch das Heulen nahm zu und klang immer näher. Vielleicht bildete sie es sich auch nur ein, oder eventuell war es das Pfeifen des Windes? Denn die Menschen vor ihr schienen wenig davon beeindruck, unbeirrt setzten sie ihren Weg zur Kirche fort.

Aber da war es wieder, jenes grässliche Heulen und zwar jetzt so nah, als würde es direkt hinter ihrem Rücken erklingen. Sich versichernd drehte sie sich um und zu ihrem Entsetzen huschten schwarze Schatten schnell auf sie zu. Wölfe? Hunde? Vor Angst begann sie zu Laufen, so schwer das im hohen Schnee auch war. Immer wieder drehte sie sich um und die Schatten waren dicht hinter ihr. Mit einem Male war sie sich nicht einmal mehr sicher, ob sie überhaupt noch auf dem Kirchensteig war, denn durch den Schnee war alles verwischt und auch die Menschen denen sie gefolgt war, sah sie nirgends mehr. Am Ende ihrer Kräfte schaffte sie immer weniger Schritte, während sich die dunklen Schatten näherten. Von der Angst erfasst, konnte sie ihren Blick nicht mehr von den Schatten lassen, während sie vor ihnen floh. Obwohl die Schatten schon zum Greifen nah waren, konnte sie immer noch nicht erkennen, was es war – einzig zwei grässlich leuchtende Augen erkannte sie. Und in dem Moment als diese Augen direkt vor ihrem Gesicht waren, erschrak sie und rutschte einen steilen Abhang hinunter. Im letzten Augenblick konnte sie sich noch an einem Ast festhalten, während die Schatten verschwunden waren. Sie hing am Abhang der dreißig Meter tief in den Steinbruch führte. Laut schrie sie um Hilfe, auch wenn sie wusste, dass sie im Schneesturm keiner hören würde. Da tauchten mit einem Male die Menschen, die sie verfolgt hatte, am Rande des Abgrundes auf und starrten sie mit unbeweglicher Miene an. Erst jetzt wurde ihr klar, dass es sich um lauter verstorbene Gesichter handelte. Zitternd vor Angst hing sie da und um sie herum nichts als Tote. Niemand half ihr, während der Ast immer mehr nachgab. Die toten Schatten nahmen ihre Kopfbedeckung ab, verbeugten sich geheimnisvoll, drehten sich langsam um und verschwanden im Dickicht des Waldes.

So laut sie konnte schrie sie immer und immer wieder um Hilfe, aber keiner konnte sie hören, denn es war nicht der frühe Morgen, sondern Mitten in der Nacht. Erst nach einigen Tagen wurde sie tot, ihr Körper im Steinbruch zerschmettert aufgefunden. Sie musste wohl vom Weg abgekommen und in den Steinbruch gestürzt sein, sagte man sich. Was man aber nicht erklären konnte waren die Fußspuren von Frauen-, Männer und Kinderschuhen im dichten Schnee.

Kommentar:

An Stoanbru´ darennt: Eine Frau soll von dem Kirchensteig von Ruprechtsberg nach Enzenkirchen einst vom Weg abgekommen sein und dabei im Andrästeinbruch den Tod gefunden haben, woran das Kreuz dort erinnert. Überliefert von Allmannsberger Mathilde nach einer Erzählung von Wiesinger Cäcilia o. J.

Quelle: Roger Michael Allmannsberger, Sagen aus Enzenkirchen, Teil 2.