A unhoamliche Fund am Freidhof...

Vorsichtig setzt die alte Frau einen Schritt vor den Nächsten – würde es sie schmeißen und sie sich etwas brechen, wäre sie nicht die erste die sich davon nicht mehr erholt hätte. Brüche im hohen Alter können das Ende des Lebens bedeuten. Wäre sie doch zu Hause geblieben, aber das war sie ihrem Mann wohl schuldig, dass sie ihn jeden Sonntag vor der Messe auf dem Friedhof besucht. Zwanzig Jahre war er nun schon tot, früh musste er diese Erde verlassen, die Liebe zu ihm war aber trotzdem nicht zum erlöschen gekommen. Es sah fast so aus, als sei sie heute die einzige, aber vielleicht wird ja noch jemand kommen. Wer weiß, nächstes Jahr könnte schon sie hier beerdigt liegen – und so erschreckend so ein Gedanke für junge Menschen ist, für Alte kann er durchaus was Erleichterndes beinhalten. Kaum Fußspuren zu sehen, denkt sie sich, während sie den Gang zum Grab ihres Mannes entlang geht. Eigenartig, was ist das für ein Ding, das da neben den Gräbern am Boden liegt. Sieht fast so aus, als hätte der Totengräber einen Juttesack vergessen – hoffentlich hat er kein Werkzeug darin, denn bei den Niederschlägen in dieser Jahreszeit könnte der schnell dahinrosten. Als sie näher kommt, erkennt sie die etwas eigenartige Färbung des Sackes, sieht etwas bräunlich, oder doch etwas rötlich aus. Am Grab ihres Mannes angekommen und ein Vaterunser betend, kann sie trotzdem ihren Blick nicht von dem Sack lassen. Babygeschrei ertönt, lautes Geschrei eines Kleinkindes. Sie schaut neugierig um sich, aber niemand zu sehen. Zwischen zwei Grabsteinen huscht plötzlich eine dunkle Gestalt vorbei, und ihr Blick liegt wieder auf dem eigenartigen Juttesack – während die Gestalt vom Erdboden verschluckt scheint. Vorsichtig und die Nerven zum zerreißen gespannt, nähert sie sich dem Sack, schaut um sich und öffnet ihn. Tiefer Schmerz erfasst sie, gleichzeitig drückt eine große Last auf ihre Schultern und der letzte Funken Hoffnung entschwindet. In dem Sack befindet sich, von Messerstichen übersät, der Leichnam eines kleinen, unschuldigen Jungen. Lang war sein Leben nicht, denkt sie sich, und erfüllt von Liebe schon gar nicht. Was ist das für eine schreckliche Welt! So, oder so ähnlich könnte sich der grausame Fund zugetragen haben, der im 19. Jahrhundert am Enzenkirchner Friedhof gemacht wurde, wie uns die Pfarrmatrikeln eindeutig verraten.

Quelle: Pfarrmatrikeln Enzenkirchen.
Roger Michael Allmannsberger, Sagen aus Enzenkirchen, Teil 1.