DAS SCHEIBENKREUZ
(Neulengbach)

Da wo die Wege von Grabensee nach Johannesberg und von Markersdorf nach Paisling sich kreuzen, am Fuße des Hochberges, steht eine gemauerte Säule, von einem Kreuzlein überragt. Im Munde des Volkes wird sie das "Scheibenkreuz" genannt.

Das Scheibenkreuz in Neulengbach © Harald Hartmann

Das Scheibenkreuz in Neulengbach
© Harald Hartmann, Juni 2005

Wenn der Wanderer die gesegneten Gefilde von Markersdorf und Grabensee durcheilt hat und zu der Stelle kommt, zieht er unwillkürlich den Rock enger an sich, und die Sage hat Recht, wenn sei behauptet, beim "Scheibenkreuz" winde es ununterbrochen.

Nahezu schon hundert Jahre lang schauen die Gipfel des Hoch- und Buchberges auf das Kreuz am Wege hernieder, und wenn Du liebe Leserin und Leser, die Berge selbst mit echter Waldandacht besteigst, so flüstern Dir die Tannen, welche wie ehedem die farbigen Standarten emporragen, die Sagen der Väter leise zu.

An der Stelle, wo jetzt das "Scheibenkreuz" steht, wurzelte damals eine mächtige Eiche, an derem Stamme etwas über mannshoch, ein einfaches Holzkreuz hing. Unter diesem Baume, auf weichem Moose gebettet, lag eines Tages ein Waidmann, während der Hund zu seinen Füßen hie und da nach den quälenden Mücken schnappte. Der Jäger, eine Hünengestalt mit bartumrahmten Gesichte, gab sich keineswegs der trägen Ruhe hin. In ihm stürmte und tobte es. Sein Antlitz verzehrte sich hie und da schrecklich. Die nervige Rechte ballte sich gegen den Himmel und sein Mund stieß einen solchen Fluch aus, darob die Grundfesten der Berge zu erbeben schienen. Selbst der Hund zog sich einige Schritte scheu zurück. "Ich muß sie dennoch haben und sollte es mir mein Seelenheil kosten. Mein soll sie sein und müßte ich sie den Klauen des Teufels entreißen." Und ein derber Fluch endete die Rede des Waidmannes.

In demselben Momente knackten auf dem Boden einige dürre Aestlein, der Hund sicherte nach rückwärts, das Gebüsch that sich auseinander und eine schwarze Gestalt stand vor dem Jäger. "Erdenwurm, ich habe Deinen Fluch gehört, Du hast mich gerufen, hier bin ich! Du willst mit mir ringen um des Rodenbauer's Töchterlein? Hier die Hand - Du verschreibst mir Leib und Seele, ich gebe Dir den Zaubertrank, der Dir unfehlbar das Herz der schönen Gretl zuwendet. Schlag ein und der Handel ist gemacht."

Das Scheibenkreuz in Neulengbach © Harald Hartmann

Das Scheibenkreuz in Neulengbach
© Harald Hartmann, Juni 2005

Trotz der sündhaften Reden und Flüche scheute der Jäger dennoch, einen solchen Vertrag einzugehen und auf seine Stärke pochend, erwiderte er: "Ich will mit Dir ringen um die Rodenbauer Gretl. Werfe ich Dich zu Boden, so gibst Du mir den Zaubertrank, unterliege ich, so verschreibe ich Dir Leib und Seele". Der Teufel war einverstanden. Sie gingen einige Schritte gegen die Lichtung. Der Jäger warf sein Wamms ab und erwartete in sicherer Stellung seinen Gegner, der den Angriff beginnen sollte. Lange rangen sie miteinander. Die Adern des Jägers schwollen gleich Striemen an, seine Muskeln traten gewaltig hervor. Man hörte nur mehr ein Schnauben und Stöhnen. Unentschieden wogte der Kampf hin und her. Da - ein gewaltiger Ruck, die Erde erdröhnte und der Jäger lag besiegt am Boden. Nach einiger Zeit und mit einem neuen Fluche richtete er sich wieder auf, sein Mißgeschick verdammend. Der Teufel sagte höhnend zu seinem Gegner: "Kraft unseres Vertrages bist Du mein und auch die Gretl ist für Dich verloren. Zwischen zwei Stühlen sitzest Du nun auf der Erde und in Kurzem wird dein Nebenbuhler, der Hirschenauer Naz, mit der Gretl Hochzeit machen!"

Wüthend riß der Jäger seine Flinte vom Boden auf und wollte auf den Teufel anlegen. Doch dieser hatte die Absichten des erzürnten Waidmannes erkannt, sprang beiseite und riß ihm das Gewehr aus der Hand. "Halt", schrie er ihm zu, "wie ich deine Körperkraft nicht fürchte, so ist mir auch vor Deiner Flinte nicht bange. Ich bin gegen jede Kugel gefeit! Aber einen Vorschlag zur Güte will ich Dir machen. Schieße mir das Kreuz von der Eiche dort herab, so sollst Du den Zaubertrank für die Gretl erhalten. Sie wird Dein Weib werden und ich hole Dich nicht gleich, wie es berechtigt wäre, sondern erst in drei Jahren. Setze Dich zu mir, ich gebe Dir Bedenkzeit!"

Lange besann sich der Jäger; er erwog in seinem Inneren die schwere Sünde, das Kreuz des Erlösers herabzuschießen. Allein die Begierde nach der Gretl überwand alle Gewissensbisse.

Auf die Aufforderung des Teufels, ihm seinen Entschluß bekannt zu geben, sagte er kurz: "Ich erfülle Deinen Wunsch - hier die Hand zum Pfande!" Hierauf traten sie etliche Schritte vom Baume zurück, der Jäger zielte - ein Knall - und das Kreuz lag zu den Füßen des Eichbaumes.

Das Abendroth über den Kerschenberge erblaßte eben ob dieser Unthat und der Holzschreier rätschte in den Wald hinein, dieses große Verbrechen seinen Bewohnern mit lauter Stimme verkündend.

Während dem Waidmanne unsagbare Angst Brust und Herz zusammenschnürte, überreichte ihm der Höllenfürst grinsend lächelnd den Zaubertrank. Sie schieden dann von einander, der eine links dem Teufelsgraben gegen Johannesberg zu, der Waidmann rechts, den Buchberg hinauf.

Bleich und von heftigen Vorwürfen des Gewissens gefoltert, stieg er die steile Höhe hinan, um bei der Rodenbauer Gretl in Burgstall neuerdings sein Glück zu versuchen. Der Zaubertrank that seine Wirkung. Binnen Kurzem war das sauberste Dirndl der ganzen Umgebung des Jägers wohlangetrautes Weib.

Doch es waren keine glücklichen Tage, die sie miteinander verlebten. Zwietracht war das Morgenbrod, heftiger Zank das Mittagsmahl und mit Haß legten sie sich zu Bette. Drei Jahre waren mittlerweile vergangen. Es war gerade derselbe Tag, dieselbe Stunde wie damals, als der Knall der Flinte aus den Bergen wiederhallte und das Kreuzbild Gottes in das Moos niedersank.

Ein armes Holzweib, das in der Nähe des Baumes die dürren Aeste auflas, hörte plötzlich einen Schuß. Sie ging dem Schalle nach und sah gerade noch, wie eine schwarze Gestalt den wohlbekannten Jäger mit sich fortschleppte. In der Angst blickte sie empor zu der Eiche, an der das Kreuz des Welterlösers hing wie ehemals so auch heute. Darunter aber sah man, durch einen Hirschfänger befestigt, die Verschreibung des Jägers an den Teufel!

Die Eiche ist schon längst nicht mehr. Ein Blitzstrahl rieß ihren Stamm mitten entzwei. Das Kreuz blieb unbeschädigt und wurde später an die gemauerte Säule befestigt.

Ein Jahrhundert ist seitdem vergangen, noch aber ist der Platz bei dem "Scheibenkreuze " schwarz, an dem der Teufel gesessen, als er dem Jäger Bedenkzeit gab. Und wenn in den Aequinoctien die Stürme das "Scheibenkreuz" umtosen, sieht das gläubige Auge noch jetzt, wie der Teufel den Jäger um die Säule herumzerrt.

Im Advent aber wandeln außerdem Lichtlein herum, die den Wanderer, der ohne Gebet dort vorübergeht, irreführen, die Frommen aber sicher heimgeleiten zu den ihrigen.

Das Scheibenkreuz in Neulengbach © Harald Hartmann

Das Scheibenkreuz in Neulengbach
© Harald Hartmann, Juni 2005


Quelle: Das Scheibenkreuz. Ein Beitrag zu den Sagen des Wiener Waldes von Franz Hüll.
Neulengbacher Zeitung Nr. 21 vom 25. Mai 1901

email-Zusendung 21.11.2001 von Günter Ofner