DIE GRÜNDUNG KLOSTERNEUBURGS

Auf dem Söller seines Schlosses, auf dem nach ihm genannten Leopoldsberge, stand Leopold, der Markgraf von Österreich und neben ihm sein frommes Ehegemahl am achten Tage nach ihrer Hochzeit. In voller Eintracht besprachen die Neuvermählten die Gründung eines Klosters und waren nur noch unentschieden über den Ort, an welchem sie das dem Himmel geweihte Gebäude errichten lassen sollten. Mit einem Male erhob sich ein Windstoß und nahm Agnes den Schleier vom Haupte, ihn durch die Lüfte hoch empor von dannen führend. Die junge Markgräfin war bestürzt über diesen Verlust, denn sie hielt den Schleier sehr wert; der Gatte eilte mit seinem Gefolge in den Wald, nach welchem der Wind den Schleier getragen hatte. Aber sie fanden ihn nicht. Endlich kam er in Vergessenheit und auch die damals besprochene Gründung eines Klosters, obgleich der Markgraf seiner Neuvermählten gelobt hatte, ein solches da zu gründen, wo der Schleier sich finden werde. Acht Jahre waren schon vergangen, als einst Leopold im Walde jagte; da schlugen mit einem Male an einer heimlichen Stelle die Rüden laut an und als der Markgraf hinzukam, fand er an einem Holunderstrauche den völlig wohlerhaltenen Schleier Agnes' hängen. Ein Wunder hatte ihn durch die lange Reihe von Jahren unversehrt bewahrt und dies bewog den Markgrafen, sogleich zur Erfüllung seines Gelübdes Anstalten zu treffen. Und so erhob sich denn der Sage nach das Stift Klosterneuburg.


Kommentar: (Zeißberg.)
Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band II, S. 27