DER WUNDERSTURZ BEI HERANDSTEIN

Zwischen Sievering und Dornbach stand eine Raubburg, Herandstein, welche schon seit Jahrhunderten spurlos verschwunden ist. Dort hauste Wulfo von Herand, der furchtbarste Raubritter seiner Zeit. Da hörte der Wilde von dem seltenen Liebreiz einer verwaisten jungen Maid, die ein armer Weidmann aufgezogen hatte. Er lauerte der Maid auf und sie fiel in seine Gewalt. Die blühende Schönheit der Jungfrau entzündete im Herzen des rohen Wegelagerers die glühendste Leidenschaft und gewohnt, sich keinen Wunsch zu versagen, wollte er sie gewaltsam zum Weibe nehmen. Vergebens suchte die Jungfrau ihm standhaft zu widerstehen. Der Unmensch verlor bald die Geduld und drohte, sie seinen Knechten preiszugeben, wenn sie sich länger weigere. Fest entschlossen, sich eher einen Dolch ins Herz zu senken, als ihre reine Hand in jene des blutigen Wüterichs zu legen, willigte sie scheinbar ein. Hocherfreut veranstaltete der Getäuschte sogleich das Vermählungsfest. Die Gäste zum Beilager einzuladen, trieb er seine Knechte nach allen Winden fort. Bei seinen Waffen- und Raubgenossen ritt er selber umher, sie zum Freudenfeste auf Herandstein bescheidend. Während auf der Räuberburg die Vorbereitungen zur Hochzeit betrieben wurden, kehrte Otto heim, der Gespiele ihrer Jugend, der Liebling ihrer Seele, ihr Stolz, ihr alles. Gleiches Geschick hatte ihre Herzen vereint. Um nicht als Bettler vor den Nährvater der Geliebten treten zu müssen, wenn er ihre Hand begehren wollte, hatte er zum Schwerte gegriffen, sich Ehre und Gut zu erkämpfen. Otto hatte sich im Kriege wider die Ungarn das Ritterschwert verdient und dachte nun, Ida mit seinem Glück zu überraschen. Da war das erste Wort, was ihm aus dem Heimatstale entgegenscholl: Ida ist Wulfo von Herands Braut! Betäubt stand er anfangs da. Bald aber raffte er sich empor und sann auf ein Mittel, sie zu retten. Den Stahlhelm unter eine breite Kappe, die eherne Waffentracht unter ein Pilgrimkleid bergend, schritt er Wulfos Veste zu. Er kam der Raubburg nahe. Doch ihre Tore waren verschlossen, die Zugbrücken aufgewunden. Unschlüssig schlich er um die Burg und den Garten. Da schaute er, von den bergenden Ästen eines mächtigen Baumes herab, sein verlorenes Lieb im Garten wandeln. Er sah ihre Tränen. Mit geringer Mühe erklomm er die Mauern und eilte auf die weinende Geliebte zu, die, laut aufschreiend, ihm entgegenflog und mit einem neuen Strom von Tränen sich an die Brust des Retters warf. Otto und Ida nur an Rettung und Flucht denkend, vergaßen der Gefahr und wurden gräßlich überrascht. Uneins sind die Sagen, ob der Wüterich sie im Garten überfallen, oder ob sie bereits entronnene Flüchtlinge, nachdem das offene Pförtlein ihm den Weg gewiesen, den ihre Flucht genommen, unfern des Waldbaches eingeholt wurden. Heimgekehrt, hatte Wulfo die Braut begrüßen wollen, überall vergebens gesucht, war in den Garten geeilt, wo er die Liebenden - oder die Spuren ihrer Flucht - traf. Eben schwur Otto seiner Ida, ehe die Sonne zur Rüste ginge, Rettung zu bringen - oder, wie andere wollen, zog die Ermattete eilig mit sich fort - da sprang Wulfo wütend herbei und knirschend streckte er Otto mit einem Hiebe zu Boden! Die ohnmächtige Maid faßte er wütend in die Arme und schleppte sie an den nahen Wildbach und schleuderte sie dann in den Felsgraben des Gießbaches, daß sie an den vorragenden scharfen Felszacken zerschmettert wurde. Als er sie in der Tiefe matt ächzen hörte, bog er sich mit teuflischer Lust hinaus, um ihre entstellte Leiche recht sehen zu können, verlor das Gleichgewicht und stürzte kopfüber in den Abgrund. Sein Gebrüll, von dem der Wald widerhaltte, brachte Ida in eine neue Ohnmacht. Schützende Engel hatten sie im Falle geschirmt. Sie war nicht weit vom Rande mit den faltigen Gewändern am Gesträuche verwickelt, halb schwebend, auf weiches Moos zu liegen gekommen. Indes eilte Otto herbei, der glücklich die rechte Spur gefunden hatte. Bloß betäubt von Wulfos Hieben, die nur seinen Helm durchdrungen, ihn aber nicht verletzt hatten, war er nachgeeilt und kam zur glücklichen Minute. Er hörte sein Lieb aus dem Graben herauf wimmern, kletterte hinab und trug die beinahe Unverletzte glücklich herauf. Noch in derselben Nacht überfiel er mit den umwohnenden Landsleuten Wulfos Waldnest und legte es in Trümmer. Wenige Wochen nachher knüpfte Otto am Altare mit der wiedergenesenen Ida das Band ewiger Liebe und Treue. Er baute sich eine neue Burg und stiftete ein Geschlecht, das in kurzem Macht und Reichtum erlangte und zuletzt mit einer Jungfrau ausstarb.


Kommentar: (Leopold Ziegelhauser.)
Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band II, S. 14