DIE LEGENDE VOM HEILIGEN KOLOMAN

Als die Stockerauer den heiligen Koloman auf ihrem Grund und Boden umhergehen sahen und aus seiner fremden Sprache und unbekannten Kleidung eigentlich nicht wußten, wer er wäre oder aus welchen Ursachen er hergekommen, gerieten sie, wiewohl ganz fälschlich und zu Unrecht, auf den Gedanken, er wäre entweder von den Böhmen oder aber von den Ungarn hierher abgeordnet worden, ihre Gegend auszuspähen und schädliche Anschläge wider sie auszuführen. Da ergrimmte der törichte und rasende Pöbel derart wider den heiligen Koloman als einen vermeintlichen Spion und Verräter des Vaterlands, daß sie ohne weitere Untersuchung ihn mit Gewalt ergriffen, mit Besen grausam schlugen und darauf ins Gefängnis warfen, in der Meinung, ihn am folgenden Tag den Ortsrichtern öffentlich vorzustellen ...

Nun kamen endlich die Zeit und die Stunde heran, in welcher es dem Allerhöchsten Gott beliebt hat, unseren heiligen Koloman auf die Probe zu stellen und dem unverständigen Stockerauischen Pöbel, welcher über ihn so übel geurteilt, klar zu zeigen, welche große Tugend und Heiligkeit unter diesem unbekannten Wallfahrer verborgen gelegen. Es mußte aber dieselbe durch gewaltige Verfolgung und Pein, wie das Gold durch das Feuer, scharf geprüft werden.

Also wurde der heilige Mann aus dem Gefängnis, in welches er tags zuvor gesetzt worden, vor das wider ihn rasende Volk geführt und dem öffentlichen Gericht vorgestellt. Der Richter, Wollkerstorffer geheißen, fragte alsdann den heiligen Koloman, warum er hergekommen und was die Ursache und Absicht seiner Reise wäre? Unser heiliger Pilger gab hierauf seine Bescheidenheit, die er im Gemüt hegte, durch Rede, Angesicht und Gebärden dem Richter und allen Anwesenden zu erkennen und erklärte ihnen mit aller Wahrheit das Ziel und Ende seiner vorgesehenen Reise: Daß er nämlich durch Österreich nach Jerusalem zu wallfahrten gesonnen wäre; er konnte auch, als seine Verantwortung bei den Zuhörern keinen Glauben finden wollte, auf keine Weise bewogen werden, etwas anderes zu bekennen und auszusagen.

Solchermaßen hat der heilige Koloman seine Unschuld vor dem Richter zu verteidigen und den Argwohn einer vorgehabten Landesverräterei von sich abzuwehren gesucht. Ungeachtet aller vom heiligen Koloman vorgebrachten Entschuldigungen und beteuerten Unschuld befahl dennoch der Richter, ihn mit entsetzlichen Streichen zu schlagen, in der Hoffnung, wenigstens durch die Heftigkeit der Schmerzen das Bekenntnis, falls er doch in der Tat ein Landesverräter wäre, aus ihm zu erzwingen. Und da auch diese scharfe Züchtigung bei dem heiligen Mann nicht vermochte, ihn von seiner einmal getanen Aussage abzubringen, wurden hierauf viele andere heftige Torturen und Peinigungen an ihm versucht.

Endlich, als die Peiniger des heiligen Mannes unüberwindliche Standhaftigkeit gesehen, haben sie ihn nebst zwei Mördern auf einem lange Zeit abgedorrten Baum aufgehängt.

Nachdem der Richter und die Gemeinde von Stockerau also unbillig und grausam mit unserem heiligen Koloman verfahren, so hat ihnen Gott, weleher Recht denjenigen verschafft, die Unrecht leiden, mit augenscheinlichen und großen Wunderwerken gewiesen, wie unschuldig und kostbar die Seele dieses unbekannten Pilgers vor seinen göttlichen Augen gewesen, dessen Leichnam so schmählich in der Mitte zweier Mörder vor ihrem Angesicht an einem Baum da gehangen. Unter diesen Wunderzeichen, womit der Allerhöchste Schützer der Gerechtigkeit unverwerfliche Zeugnisse der Unschuld des heiligen Koloman gegeben, ist das erste gewesen, daß an ihm, gleich als ob er noch lebte, die Nägel an den Fingern, der Bart im Angesicht und die Haare am Haupte gewachsen; überdies sah man mit großer Verwunderung, daß sein heiliger Leib von den Raben und anderen Tieren ganz unberührt, zugleich auch unverwest geblieben, hingegen die Körper der zwei mit ihm hingerichteten Übeltäter aufgefressen und von natürlicher Fäule zerstört wurden. Hiezu kam noch das Wunder, daß der dürre Baum, an welchem der heilige Koloman aufgehängt worden, zu grünen und blühen angefangen; worüber aber sie sich noch mehr verwunderten, war, daß aus seinem Fleisch, in welches man dreimal geschnitten und gestochen hatte, das warme und frische Blut floß.

Ein Mann, Rumaldus genannt, hatte einen Sohn, welcher an Podagra (Fußgicht) daniederlag. Da nun der Vater dessentwegen sehr geängstigt war und nicht wußte, was er tun solle, ward ihm nachts im Schlafe geoffenbart, daß sein Sohn zur vorigen Gesundheit gelangen werde, wenn er an dem schmerzhaften Ort mit dem Fleisch von dem neulich aufgehängten Menschen, nämlich vom heiligen Koloman, würde bestachen werden. Nachdem Rumaldus erwacht und hierüber mehr als sonst fröhlich geworden, schickte er eilends einen Boten ab, der ihm jenes Hilfsmittel herbeibringen sollte. Dieser machte sich unversäumt auf den Weg, und als er an den Ort kam, an welchem der Leichnam des heiligen Koloman hing, schnitt er mit einer Lanze ein Stück Fleisch, wie ihm befohlen worden, aus des Hängenden Wade ab. Und siehe! Nach geschehenem Schnitt folgte sogleich eine Menge so warmen Blutes, daß es schien, als wäre die Seele noch in dem Leib. Der Bote sah zwar dieses Wunder mit größtem Erstaunen und erschrak heftig darüber, doch brachte er das abgeschnittene Fleisch seinem Herrn nach dessen Befehl heim und erzählte ihm den ganzen Verlauf dieser wunderbaren Begebenheit. Kaum ward der kranke Sohn mit dem Fleisch dreimal überstrichen, da stand er frisch und gesund auf ...

Da nahm Rumaldus nebst vielen anderen eine Reise vor und begab sich nach dem Ort, wo der Leib des heiligen Koloman hing. Er betrachtete denselben genau mit seinen Reisegefährten, besonders demjenigen, welchen er vorher hierher abgeordnet, um einen kleinen Teil des Fleisches davon abzuschneiden. Es mußten sich aber alle höchlich verwundern, da sie gesehen, daß ungeachtet des Schnittes nicht allein keine Wunde, sondern nicht einmal ein Wundmal davon zu sehen war.

Sie erkannten hieraus nunmehr klar, Koloman müsse gewiß kein Landesverräter und Spion, als welchen man ihn angesehen hatte, sondern in Wahrheit ein gottseliger Pilger, ja ein gerechter und heiliger Mann gewesen sein. Um Unrecht und Schmach, so man dem heiligen Koloman unverdientermaßen angetan, mit schuldiger Hochachtung und Ehrerbietung nach Möglichkeit zu ersetzen, faßte Rumaldus mit seinen Reisegesellen den Entschluß, ihn von der schmählichen Richtstätte abzunehmen und in der Erde geziemend zu bestatten. Zu diesem Ende haben sie sogleich eine nicht kleine Menge der Klerisei und des Volkes zusammengerufen, den ehrwürdigen Leichnam des heiligen Koloman von dem Baum, an dem er gehangen, losgemacht und zunächst bei einer Kirche oder Kapelle, die unlängst in einer schönen Au neben der Donau bei Stockerau aufgerichtet worden, ehrerbietigst beigesetzt.

Im nachfolgenden Jahr hat sich der Donaustrom über alle Ufer und Gestade gewaltig ergossen, daß dadurch der größere Teil der Häuser und Gebäude, die daran gestanden, vom Grund aus hinweggerissen und alle dabeiliegenden Orte fast überschwemmt worden. Es hatte auch das Gewässer den Vorhof der Kirche, daneben der Leib des heiligen Koloman ist gelegt worden, dermaßen angefüllt, daß die Hälfte der Kirche wegen des übermäßigen Wasserzustroms kaum gesehen werden konnte. Allein die Grabstätte uriseres Heiligen blieb davon gänzlich unberührt und unbenetzt, gleich als ob sie mit einer festen Ringmauer wäre umfangen gewesen, und noch dazu war schönes Grün darauf zu sehen.

Dieses letzte Mirakel machte nebst anderen bereits geschehenen Wunderzeichen im ganzen Land ein solches Gerücht und Aufsehen, daß es endlich auch dem damals regierenden Markgrafen Heinrich zu Ohren gekommen, welcher beschloß, den Leichnam des heiligen Koloman aus seinem vorigen Grabe zu heben und in ein herrlicheres zu überführen.

Da nun die von ihm Abgesandten beim Grab des heiligen Koloman angelangt, fühlten sie, bevor sie es zu öffnen begannen, einen so seltsamen und ungewöhnlichen Geruch, daß alle, die zugegen waren, vor Freuden geweint haben. Hierauf sahen sie den heiligen Leichnam also frisch und unverwest, als ob er am selben Tage beerdigt worden wäre. Der in kostbare, dazu vorbereitete Leinwand und Tücher eingewickelte Leichnam wurde folgenden Tages in aller Frühe von geistlichen Personen unter Begleitung Markgraf Heinrichs, des Eichstädtischen Bischofs Meginaud und der übrigen Landesklerisei, wie auch der vornehmsten Ritter in Österreich samt einer großen Menge des Volkes von Stockerau hinweggeführt...

Unter herrlichen Freudenzeichen haben sie endlich die Stadt Melk glücklich erreicht, allwo auf Befehl und Anordnung des Landesfürsten der Leib des heiligen Koloman mußte abgelegt werden; welcher darauf in die Hofkirche des Stiftes, das Markgraf Heinrichs Vater Leopold, zugenannt der Durchlauchtigste, im Jahr 980 auf dem Melkischen Schloßberg zu Ehren des heiligen Apostelfürsten Petrus erbaut und den Chorherren zu versehen eingeräumt hat, mit großem Gepränge übertragen und darin auf der mittägigen Seite ehrerbietigst ist beigesetzt worden ...


Quelle: Geschichte und Wunderwerke des heiligen Colomanni...verfaßt durch P. Godefridum Deppisch. - Wien 1743