DER RITT ZUR HÖLLE

Manchmal kommt es vor, daß man, vom grauen Alltag übersättigt, auf ein stilles Plätzchen im Walde flüchtet und hier das ausgeglichene Leben der Natur beobachtet. Man setzt sich am Waldrand auf eine Wiese, lauscht dem Plätschern des Baches, worin schwerfällig Krebse zwischen den Steinen hervorklettern. überall zirpen die Grillen auf der Wiese. Familie Rotschwänzchen füttert ihre jungen, Kohlmeisen spielen und singen und bei jedem Schritt im Gras hüpfen unzählige Heupferdchen davon. Hoch oben am Himmel aber kreist ein Bussard, der Ausschau nach einem Opfer hält.

Weiter entfernt, hinter goldgelben Ahrenfeldern, dort, wo ein tiefer Graben zwei Wälder teilt, lugt aus graugrünem Dunst altes Gemäuer hervor. Früher haben die Ritter auf der Lichtung zwischen Wald und Burg ihre Turniere abgehalten. jetzt ragt voller Frieden und doch etwas unheimlich die Ruine Kaya wie aus einem heiligen Hain empor und träumt von ihrer Vergangenheit.

Einst, als sich an Stelle der Ruine noch eine gewaltige Burg erhob, standen dicke Gewitterwolken am Himmel. Dämmerung lag schon über dem Land, und es blitzte und donnerte wie schon lange nicht. Der Regen prasselte aufs Laub, und schaurig rollten die Donner um die Burg. Da niherte sich ein Ritter im langsamen Trab der Feste. Ob seiner nachtdunklen Rüstung war er als der "Schwarze Ritter" in aller Munde. Dennoch kannte ihn niemand, und keiner konnte je Auskunft geben, woher er kam und wohin er zog. Nur eines wußte man: wo immer er noch aufgetaucht war, fand ein Unrecht seine Sühne. Auch auf der Burg Kaya soll es seit geraumer Zeit nicht ganz geheuer zugegangen sein. Der alte Burgherr war auf mysteriöse Art und Weise hier ums Leben gekommen. Niemand wußte es genau zu sagen, aber alle Leute raunten, er wäre durch einen geheimnisvollen Sturz von der Terrasse seiner Burg in den Tod gestürzt. Und nach diesem Vorfall zeigte sich sogleich ein neuer Herr auf der Burg und man munkelte, daß dieser dämonische Kräfte besaß und mit Hilfe finsterer Gewalt Roswitha, die Tochter des alten Burgherrn, gefangen hielt. Ihre ungetreue Zofe war es gewesen, die dem Unheimlichen Burg und Leute überliefert hatte. -

Inzwischen war der "Schwarze Ritter" am Burgtor angelangt und wurde, vom Wächter nach seinem Begehr befragt, in die Burg eingelassen. Alle erahnten den Sinn dieses Besuches, und der Burglierr sann bereits Böses. Hinterhältig lud er den "Schwarzen Ritter" zu einem wilden Gelage und versuchte, den ungebetenen Gast betrunken zu machen. Ein Humpen nach dem anderen wurde geleert. Auch Roswitha erkannte man unter den anwesenden Frauen, die die Laute schlugen und dem Gaste Kurzweil boten. Doch wie hatte sie sich verändert! Wie entrückt war ihr Sinn! Dämonenbehaftet auch ihr Herz! Weit im Lande bekannt war ihre edle Gesinnung gewesen, doch grausam heftete sie jetzt ihren Blick auf den Ritter. Kalt waren ihre Worte und hart, als sie dem Gast den Willkommtrunk bot. Der Burgherr schien des Gastes Interesse an dem Mädchen bemerkt zu haben. So sprach er zu ihm, wie wenn er diesem wirklich zugetan wäre- An allen Frauen könne er Gefallen finden bis auf Roswitha, denn die wäre vom Teufel besessen. Dazu lachte er höllisch, daß sogar die Bauern im Dorf das schaurige Echo hörten. Ab nun fielen gar unschöne Worte im Rittersaal. Der Burgherr lästerte und spottete über alles, was für Ritter heilig, und ehrbar war. Und er meinte, sein Gast möge doch nicht nachtrauern einer blöden Maid, sondern sich an einer anderen laben!

Wieder brach er in ein teuflisches Gelächter aus, daß es die Wände entlang widerhallte. Dann suchte er kräftig den Fremdling herauszufordern. Der Feigheit zieh er ihn auf der Eberjagd, wo ihn ganz sicher der Mut verlassen würde. Darum riet er ihm, lieber mit Füchsen vorlieb zu nehmen, wenn er nicht sogar dabei entlaufen sollte. Doch ungeachtet all dieses Schmähens bewahrte der "Schwarze Ritter" die Ruhe. Nur das schallende Hohngelächter von Roswithas Lippen ließ ihn zusammenzucken. Aber sogleich war er wieder gefaßt, als sich die Fratze des Dämons vor Schadenfreude grinsend verzog. Und jetzt hielt dieser auch die Zeit für gekommen, sein bös-es Vorhaben ins Werk zu setzen. So bat denn der Burgherr, scheinheilig lächelnd, den Gast um Vergebung für die häßlichen Worte in der Laune des Weines und er stellte an ihn die tückische Frage, ob der Ritter auch alles wagen würde, so wie er? Sie sollten wetten. Mit steinhartem Antlitz hielt der Fremde die Wette. Da war der Dämon ganz plötzlich verschwunden, doch sah man ihn gleich wieder zu Pferde die Treppen bis zur obersten Terrasse seiner Burg hinaufhasten. Kaum oben, rief er zurück und fra te höhnisch nach dem Verbleib seines Gastes. Den Knechten und Knappen stockte das Blut in den Adern. Hält der die Wette? Hat er den Mut? Vollkommene Stille herrschte darob, und kein Sterbenswörtchen wagte da jemand. Der Schwarze Ritter« aber ließ sein Pferd herbeiholen, schwang sich in den Sattel und erklomm mit dem Tier in Kürze die Terrasse. Oben standen nun die beiden Reiter hart an den Zinnen. Die Rösser scharrten auf dem steinernen Boden, daß die Funken stoben - vor ihnen aber gähnte finster der Abgrund. "Es wird Dein Abschied für ewig sein", krächzte hämisch das Scheusal und stieß die Sporen in den Leib seines Pferdes. Hinab stürzten Roß und Reiter in die Tiefe, die sie allsogleich verschlang. Wild drängte des "Schwarzen Ritters" Pferd jetzt nach, bäumte sich steil in die Höhe und setzte schon an zum Sprung in den sicheren Tod. Doch der Ritter schlug das Kreuz auf der Brust, bezähmte eisern das schäumende Tier und riß es und sich selber vom Abgrund zurück. Für den Dämon kam es diesmal anders, als er dachte. Kein Teufel konnte ihm helfen gegen den "Schwarzen Ritter" und so war er mit seinem Roß bis in die Hölle geritten.

Da zitterten die Mauern, es donnerte und krachte. Eine unheimliche Kraft ließ die Erde beben. - In der Stille, die nun folgte, stand voller Staub, aber heil der "Schwarze Ritter" inmitten gestürzter Mauern und Schutt. Und er suchte sofort nach Roswitha unter den Trümmern und fand sie wohlbehalten in einer Nische des völlig zerstörten Rittersaales. Des Dämons Bann ward mit seinem Höllenritte gebrochen und sie sank, vom Schreck-en noch bleich, in des Ritters starke Arme. Behutsam hob er sie auf sein Pferd, um mit ihr auf seine Burg zu ziehen. Einmal noch wandte er den Blick zurück, und seine Miene umdüsterte sich, denn er blickte auf eine Ruine. Schnell ließen sie die schaurige Stätte hinter sich. Der Spuk und das teuflische Spiel waren gottlob nun vorbei. Warm spürte er das edle Geschöpf, das sich so schutzbedürftig an ihn schmiegte, vor sich auf dem Pferd. Von Herzen ward sie ihm zugetan, seit ihr Sinn nicht mehr vom Zauber gelenkt war. Und auf alten Wegen ritten sie einer neuen Zukunft entgegen. -

Keine Spur fand sich späterhin von dem Begebnis. Nur unterhalb der Ruine, dort, wo sich einmal die Burgterrasse erhoben haben mag, scheint heute noch die Erde wie verbrannt. Ober diese Stelle hatten fromme Bauern eine Kapelle gebaut, doch auch die ist schon längst zerfallen. Nur wenige Mauerreste erinnern noch an sie. Das Immergrün wächst dort genau so üppig wie ehedem. Und rnanchmal erblickt man darinnen eine Schlange, die mit flinken Bewegungen ins Dickicht huscht. Das soll die treulose Zofe von Roswitha sein, die zur Strafe in eine Kreuzotter verwandelt worden war und noch heute ihrem Schicksal zu entfliehen sucht.


Quelle: Franz Bischof, Raimund Jordan, Sigrid Enzenhofer, Sagen und Legenden aus Hardegg, Hardegg 1978, Seite 15