DER EINSIEDLER

Eines der schönsten Ausflugsziele in der Umgebung Hardeggs bildet der Einsiedler. Mitten in einer fast senkrechten, direkt aus der Thaya aufragenden Felswand gewahrt man eine gemauerte Klause. Ob sie einst wirklich einem Eremiten als Unterkunft gedient haben mag? Für eine Jagdunterkunft, bzw. einen Anstand mittelalterlicher Bärenjäger scheint das Bauwerk, das zweifelsohne schon Jahrhunderte überdauert hat, jedenfalls viel zu kompakt. Gesichert war die Einsiedlerzelle vor Überraschungsbesuchen von Mensch und Tier. Der Eingang ist nur mitteis einer Leiter oder Strickleiter zugänglich und zu den beiden schmalen Fensterluken kann man erst nach einer kleinen Kletterei gelangen. Spuren einer Feuerstelle am schrägen Felsenboden, wie ein Rauchabzug in der Decke bestätigen die Annahme, daß es sich hiebei einmal um eine Dauerunterkunft gehandelt haben muß. Desgleichen deuten auch vorhandene Riegellöcher auf die Verschließbarkeit der Fensteröffnungen des Raumes hin, der eine beachtliche Größe aufweist.

Die Fama führt uns zurück ins tiefe Mittelalter, in die Zeit der Kreuzzüge. Dichter Urwald breitete sich damals noch zu beiden Seiten des Thayaflusses aus, und nur selten mochte eines Menschen Fuß diesen Boden betreten haben.

Eines Tages bahnte sich mühsam eine aufrechte Gestalt den Weg flußabwärts durch das unwegsame Thayatal. Den Gabrielensteig gab es damals noch nicht. Trotz des härenen Büßergewandes erkannte man in der Erscheinung allsogleich einen Ritter. Eine Felswand an einer Jähen Biegung des Flußlaufes versperrte ihm plötzlich den Weg. Prüfend suchte der müde Wanderer nach einem Übergang im Fels. Da erspähte sein Auge mitten in der schier unbezwinglichen Wand ein,-- Felsnische. Der Pilgrim empfand dies als göttlichen Wink und richtete just an dieser Stelle sein Nachtquartier ein, geschützt vor den wilden Tieren des Waldes. Wielange schon war er so ruhelos gewandert! Weit aus dem Steirischen hatte es ihn bis an diese Stelle getrieben. Qual und Reue waren seine steten Begleiter gewesen. Nocheinmal ließ ihn die dunkle Nacht all sein grausiges Geschick durchleben.

Eine stolze Burg hatte er sein eigen genannt, und wohl an die zehn Jahre mochten es her sein, daß er, Uto von Hardtenstein, dem Rufe des Kaisers folgend, ausgezogen war, um gegen die Ungläubigen zu kämpfen. Zurücklassen mußte er damals sein jung angetrautes Weib mit seinem erstgeborenen Sohn. Viel Not gab es, und zahllose Gefahren waren zu bestehen. Und endlich sah er das gelobte Land. Er hatte es betreten dürfen und auch Jerusalem, die Stadt, in der der Herr geweilt hatte. Doch viele Jahre dauerte es bis er die Schritte seines Rosses heimwärts lenken konnte. Dann war es soweit gewesen. Voll freudiger Erregung ritt er seinem Trupp voraus, den heimatlichen Gefilden entgegen. Schon gelangte er in die Nähe seiner Burg. Doch was bot sich da plötzlich seinen Blicken dar? Sein Weib, sein innigstgeliebtes, vor ihm hielt es einen jungen Mann umfangen! jäh schoß ihm da das Blut zu Kopfe er spornte sein Pferd und ohne unnütze Worte zu verlieren rannte er in maßlosem Zorne sein Schwert durch den Leib des Jünglings, daß es gleich seine Frau mitdurchbohrte. Diese aber, den gräßlichen Irrtum ihres Mannes erkennend, hauchte sterbend ihre Seele mit den Worten aus- "Jetzt hast du dein eigenes Kind gemordet!"

Alle Himmel schienen auf einmal einzustürzen für den armen Kreuzritter, der allen Gefahren getrotzt, glücklich heimgekehrt, im Wahnbild des Jähzornes eine solche Untat begehen mußtet Auf der Stelle wollte er sühnen. Nachdem er die Burg und alle seine Habe an seine Getreuen verschenkt hatte, zog er aus seiner Heimat in härenem Gewande, um Buße zu tun für seine Freveltat. Wohin ihn Gott seine Schritte lenken ließ, ging er. So kam er bis zur Thayabiegung unterhalb Hardeggs.

Als er tags darauf nach seinem ersten tiefen Schlaf seit jener Tat erwachte, -begann er über die Felsnische eine Klause zu bauen. Hier wollte er bleiben, Gott anbeten und hoffen, durch ein frommes Leben in Einsamkeit dereinst erlöst zu werden von seiner Verzweiflung.

Viele Jahre lebte nun Uto von Hardtenstein als Einsiedler von Hardegg, tat viele Werke der Barmherzigkeit und Güte und war weit in das Land hinein als frommer Mann bekannt und verehrt.

Und insbesondere den Hardeggern tat er Gutes. Er fand heraus, daß das Gestein am jenseitigen Ufer der Thaya, über dem Gaissteig, gold- und silberhältig ist. Das bald darauf errichtete Silberbergwerk brachte den Harde ger Bur ern lange Zeit hindurch großen Wohlstand. Den Einsiedler aber fanden die Bergknappen eines Morgens, als das Frühjahr schon seinen Einzug in das Tal gehalten hatte, erfroren am Fuße jenes Kreuzes, das er bei seiner Ankunft in Hardegg auf der Höhe oberhalb seiner Klause errichtet hatte. Sein Antlitz war nach dem Süden, seiner Heimat zu gewendet. Und jeden Frühling schmücken all die Jahre seither leuchtende Krokusblumen sein Grab. Heute schreitet mancher Wanderer ahnungslos über die Ruhestätte des Hardegger Einsiedlers, der hier seinen Frieden gefunden hat.

Das Silberbergwerk aber ist verfallen. Bald nach dem Tode des Eremiten war es aufgelassen worden, weil Habgier die Menschen ergriffen hatte. Sie fingen an, einander zu mißtrauen, und jeder wollte mehr von der Ausbeute erhalten als der andere. Selbst der Graf mochte die Abgaben nicht mehr an den Kaiser zahlen. Da ließ der ergrimmte Kaiser das Bergwerk sperren und den Abbau des Silbers verbieten.

Alte Leute erzählen sich noch heute, daß ganz unten vom Boden des Bergwerkschachtes aus ein Gang unterirdisch bis nach Znaim geführt hätte. Ein Bauer hatte dies auch einmal beweisen wollen und einen Hahn in den Schacht geworfen. Der Hahn war auch richtig quicklebendig in Znaim wieder ans Tageslicht gekommen. Das Silberbergwerk nennt man heute nur mehr Silberhöhle, und wenn man in sie hineinsteigt, kann man noch die im Laufe der Jahrhunderte im Gestein verjüngten Stollen erkennen.


Quelle: Franz Bischof, Raimund Jordan, Sigrid Enzenhofer, Sagen und Legenden aus Hardegg, Hardegg 1978, Seite 3