Das Blümlein Widertod.

Im Graben von Groisbach, der sich am linken Stromufer zum Jauerlingstock hinaufzieht, stand einst eine Mühle und in ihr war eitel Not und Jammer: denn des Müllers Weib war schwer siech seit Jahren und die Ärzte kosteten wohl unmenschlich viel Geld, vermochten aber das Leiden nicht zu bannen. Aber ... was tut man nicht alles, um das teuerste Leben zu erhalten! Der Müller wandte sich, eine letzte Hoffnung im Herzen, an den berühmtesten Arzt nach Wien und schilderte ihm der armen Frau so hartnäckig Gebresten. Der Arzt jedoch, da er alle Umstände vernommen, schüttelte nur den Kopf und meinte, da sei menschliche Hilfe vergebens. Nur das Blümlein Widertod, das auf dem Jauerling wachse, könne Heilung bringen, wenn es in schauerlich-gespenstiger Vollmondmitternacht reinen Herzens und mit reiner Hand gepflückt werde. Es sei aber das Blümlein äußerst selten und von Menschen kaum zu finden, nicht einmal Sonntagskinder hätten das Glück ... sei es ja unter allen Kräutern das einzige, so wider den Tod gewachsen oder wenigstens den Tod bis ins höchste Alter hinausschiebe.

Schweren Herzens kam der arme Müller heim und berichtete seiner Frau, was der brühmte und demgemäß teure Doktor in der Wienerstadt gesagt hatte, und die Frau seufzte: "Ach Gott, wäre ich doch lieber tot und ihr der Sorgen ledig! Es mag ja nimmer sein, daß mir das Blümlein Heilung bringe!"

Es hatten aber die Müllersleute ein gar sittsam Töchterlein von dreizehn Jahren, das trotz seiner zarten Jugend der Kranken in allem wartete und sich nach besten Kräften des Hauses annahm. Wie das vernahm, was allein der guten Mutter Erlösung aus dem Siechtum bringen könnte, war es allsogleich entschlossen, das Wagnis zu bestehen, und machte sich, der Eltern Einspruch durch seine Liebe besiegend, in der nächsten Vollmondnacht auf den Weg, das seltene Blümlein zu suchen. War ein recht unheimlich Wandern durch den Graben den Berg hinauf, bald in stockfinsterer Schattennacht, bald in blendendem Glaste. Bärtige Baumknorren mit grinsenden Gesichtern, aufflatternde Käuze mit schrillem Schrei, angstbares Geraune und Geflüster im Walde wollten das Kind zurückscheuchen. Tapfer aber schritt es, sich Gott und der heiligen Jungfrau empfehlend, bergan und stand auf einmal vor einem wunderherrlichen Schlosse, tausendmal schöner als die Burg Aggstein. auf die man von Groisbach der bösen Ritter halber immer mit Schrecken hinübersehen mußte. Vor dem Schlosse aber stand die Königin des Berges in schneeweißem Gewande, eine güldene Krone auf dem Haupte. Die empfing das Mädchen mit den liebreichen Worten: "Komm, du armes Kind, und bleibe fortan in meinem Wunderschlosse! Daheim hast du nur bittere Not und Plage, bei mir aber sollst du gleich vielen andern Kindern in ungetrübtem Glücke leben, und was immer dein Herz begehrt, das soll dir werden an Speise und Trank und frohem Spiel und wonnigem Schlaf auf seidenem Pfühle. Sind noch viele Kinder in meinem Schlosse, Büblein und Mägdlein, treiben den Ringelreihen in meinem Wundergarten, winden Kränze aus bunten Blumen, pflücken der reifsten Früchte die Menge, rotwangige Äpfel, goldgelbe Birnen, saftige Kirschen und Pfirsiche das ganze Jahr ins Leckermündchen, singen zu Saitenklang die schönsten Lieder. Die Mägdlein tragen die kostbarsten Kleider aus Seide und Sammet, und Tocken pflegen sie in Kissen und Wägelchen, fast lebendige Töcklein, können schlafen und wachen und jeweils sogar ein wenig schreien. Ist völlig ein Paradies in meinem Schlosse und meinem Wundergarten, bei euch daheim aber ist der Hölle unaufhörlicher Jammer. Also bleibe bei mir, liebes Kind, und sei glücklich für alle Zeiten!"

Da entgegnete das Mädchen: "Frau Königin, mein Herz begehrt nicht Speise noch Trank, nicht frohe Spiele und nicht Schlaf auf seidenem Pfühle, sondern einzig und allein meines viellieben, armen Mütterleins Genesung. Sagt an, wo kann ich das Blümlein Widertod finden!"

Hocherfreut und gerührt durch des Kindes standhafte Liebe zur kranken Mutter übergab ihm die Königin, die ja dessen Gemüt nur hatte prüfen wollen, das Blümlein nebst reichen Geschenken.

So ward die Frau geheilt und in der einsamen Mühle hielt nach schwerem Leid die Freude ihren Einzug.

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 44 - 47.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.