Die Gründung von Hartenstein.

Vor fast so vielen hundert Jahren, als der Mensch Finger hat, verliebte sich ein Ritter in die wunderschöne Tochter des Herrschers Kuno und fand heiße Gegenliebe. Doch der stolze Vater, der sein Kind nur einem Könige geben wollte, weigerte sich hartnäckig, in die Verbindung einzuwilligen, und so blieb dem Ritter nach altem Gebrauche nichts übrig, als die Braut zu entführen.

Die beiden flüchteten vor der Rache des ergrimmten Vaters in die Urwälder des Kremsflusses, und der Ritter erbaute dortselbst eine mächtige Burg, die er wegen ihres festen Gesteines Hartenstein nannte. Hier gedachte er, vor allen Nachstellungen gesichert, mit seiner geliebten Frau ein glückliches Leben verbringen zu können.

Allein Kuno, der dem Mädchenräuber den Tod geschworen hatte, gab seine Nachforschungen nicht auf, bis der Schlupfwinkel entdeckt war. Er belagerte die Burg und erstürmte sie trotz der tapfersten Gegenwehr. Als nun der Hartensteiner alles verloren sah, als Kuno bereits mit dem Schwelte in der Hand in das Turmgemach trat, wohin sich das Paar zurückgezogen hatte, da umschlang der verzweifelte Gatte die geliebte Frau und stürzte sich mit ihr in die grause Tiefe. Kuno selbst fiel, ob dieses entsetzlichen Ausganges, vom Schlage gerührt, tot zu Boden, und so ging die Herrschaft in andere Hände über.

Manche erzählen, es sei dem Kuno mit dem Überfalle nicht ernst gewesen. Er habe nur mit Einverständnis des Schloßhauptmannes die Tapferkeit seines Schwiegersohnes auf die Probe stellen wollen, geneigt, den beiden im letzten Augenblicke Verzeihung Angedeihen zu lassen. Aus dem gewagten Scherze sei aber, da sich das Paar voreilig in die Tiefe stürzte, blutiger Ernst geworden, und Kuno, durch den unseligen Ausgang erschüttert, habe das Schloß einem seiner Reisigen geschenkt, habe sich auch, in sein Reich zurückgekehrt, keiner glücklichen Stunde mehr erfreuen können.

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 66 - 67.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.