Der glosende Wagensitz

Wann es gewesen ist, weiß man nicht mehr, jedenfalls aber schon recht lang her und vor unvordenklichen Zeiten doch auch wieder nicht, denn die Bauern rauchten damals schon Tabak, und daß sie das tun, ist auch noch nicht gar so viel über hundert Jahre her.

In einem Dorfe jenseits der Ur! hauste zu jener Zeit ein Bauer, der lebte in geordneten Verhältnissen, hatte ein kreuzbraves Weib und brave Kinder, war gesund und fleißig und stets bei gutem Humor. Auch sonst kein schlechter Mensch, ging er gern in die Kirche, und wenn er auch ebenso gern, und manchmal sogar etwas andauernd, am Wirtshaustisch saß, so war er doch deswegen beileibe noch kein Säufer. Einen Fehler aber hatte er: Es machte ihm ein unbändiges Vergnügen, wenn es ihm gelang, einem anderen einen derben Rausch anzuzechen, und diese Untugend konnte ihm auch seine Bäuerin, so sehr sie sich darüber sorgte, nicht abgewöhnen.

So saß er denn auch einmal zu später Stunde in Aschbach beim Knoll-Wirt im unteren Markt mit dem Kramer-Wastl beisammen, und als die Uhr Mitternacht schlug, war es glücklich so weit, daß der Kramer, der ohnehin ein zanksüchtiges Weib hatte, das bei solchen Gelegenheiten mit dem Besenstiel nicht sparte, sternhagelvoll war. Dann führte der Bauer den Wast! heim, lehnte ihn an die Haustür, riß stürmisch an der Hausglocke und versteckte sich hinter dem Büchsenmacher Stadeleck, um die ebenso stürmische Begrüßung mitanhören zu können. Als er dann solcherart auf seine Rechnung gekommen war und der Schlachtenlärm allmählich verebbte, kehrte er, befriedigt schmunzelnd, zum Wirtshaus zurück, wo sein Rößlein schon seit Stunden ungeduldig mit den Hufen scharrte, zündete sich mit dem Feuerschwamm seine Pfeife an, kletterte auf das Zeiselwagerl und fuhr heimwärts.

Eine Eisenbahn gab es damals noch lange nicht, das Mauthäusl links von der Straße war zu dieser späten Stunde unbesetzt, und der Schrankbaum bei der alten hölzernen Urlbrücke stand sogar offen. Obwohl der Bauer den weitaus größeren Teil des Trinkens dem Krämer überlassen hatte, mußte er doch ein wenig eingenickt sein, denn er mußte sich bücken, um die ihm aus dem Munde gefallene Pfeife aufzuheben. Als er sich aber wieder aufrichtete, erschrak er nicht wenig, denn neben ihm saß plötzlich ein schwarzer Mann auf dem Wagensitz, der kein Wort redete und, als der Mond ein wenig aus den Wolken trat, so unheimlich aussah, daß man ihn auch nicht anzusprechen wagte. Des Bauers Angst steigerte sich bis zum Entsetzen, als er nach den Zügeln greifen wollte, auf die er sich, um die Hände für seine Pfeife frei zu haben, gesetzt hatte und plötzlich etwas griff, das sich brennheiß anfühlte und - war nicht auch eine lange, wollige Quaste daran und roch es nicht auch ganz abscheulich nach Brand? "Jesus, Maria und Josef!" entfuhr es da dem Bauer. Im selben Augenblick aber war der Schwarze neben ihm verschwunden, und man hörte ein vielstimmiges Krächzen und Flügelschlagen, denn aus dem Urlnebel flatterten hunderte von kohlschwarzen Raben heraus. Auch das Pferd stürzte wie rasend davon und als es endlich schnaubend und pustend in des Bauers Hof anlangte, troff es vor Schweiß.

Der Bauer aber war von selbiger Stund an bekehrt. Er ging fortan rechtzeitig heim, niemals mehr zechte er einem anderen einen Rausch an und fuchsteufelswild konnte er werden, wenn einer behauptete, das Loch am anderen Ende der "Wagendecke, auf der der Unheimliche gesessen war, sei nur von dem aus der Pfeife gefallenen Tabak ausgebrannt worden. (Dr. Theuerkauf.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten, Hrsg. Ferdinand Adl, Amstetten 1952, S. 77
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Mai 2006.
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