Das verhexte Vieh in der Stiefelmühle

Wie mir Frau Öllinger aus Klein-Greinsfurth erzählt, lebte vor 150 Jahren in der Stiefelmühle bei Ulmerfeld der Besitzer mit seiner Familie glücklich und zufrieden. Der Hausstand war wohlgeordnet, reichen Segen an Frucht brachten die Äcker, und das Vieh stand wohlbeleibt in den Ställen. Eines Tages aber klopfte die Not an das Besitztum. Die Kühe verwarfen und gaben Blut statt Milch, die wohlgerundeten Leiber wurden klapperdürr. Die Schweine verendeten, ihr lebhaftes Grunzen verstummte. Die Müllersleute verzagten schier, denn mit der Wirtschaft ging es rasch abwärts.

An einem schönen Maiensonntag ging die Bäuerin zur Kirche. Sie schritt zwischen den Feldern dahin und betete einen Rosenkranz. Plötzlich stand eine schöne Frau in kleidsamer Bauerntracht vor ihr. Diese sprach zur Stiefelmüllerin: "Was bedrückt dich, daß du so traurig dahinschreitest? Sage es mir, vielleicht kann ich dir helfen." Nun klagte die Bäuerin der lichten Frau ihr Leid und diese meinte: "Ja, liebes Mutterl, bei euch im Hause ist eine böse Hexe am Werke und treibt mit Hilfe des Teufels ihr Unwesen. Gegen diese beiden Bösewichte gibt es nur eine Hilfe: Bald ist das hohe Fronleichnamsfest da. Nimm von jedem Altar ein paar Birkenreiser und winde damit drei Kränzlein. Gehe damit nach Hause, brich aus der StalImauer einen Ziegel heraus und lege die Kränzlein in die Höhlung. Um Mitternacht werdet ihr die Kühe brüllen, die Schweine grunzen und die Hühner gackern hören. Geht aber nicht hinaus, es wäre euer Unglück!" Die Bäuerin wollte der guten Frau Dank sagen, aber diese war wie ein feiner Dunstschleier in den Maienhimmel entschwunden.
Die Stiefelmüllerin tat am Fronleichnamstage, wie ihr geheißen. Die Hausleute warteten bis Mitternacht in der dunklen Stube. Die Gewichteruhr rasselte die zwölfte Stunde und als der letzte Glockenschlag verklungen war, hob im Stalle draußen ein Lärmen und Toben an, schier so, als ob die wilde Jagd durchs Haus brauste. Den ängstlich harrenden Leuten lief es kalt über den Rücken. Am Morgen fanden sie nicht mehr die drei Kränzlein. Aber die Kühe gaben wieder Milch statt Blut und rundeten sich zusehends. Die Schweine wurden glatt und feist, gerade recht für die winterliche Selchkammer. Mit dem gesundeten Vieh war wieder der alte Wohlstand in die Stiefelmühle eingekehrt. (Resch.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten, Hrsg. Ferdinand Adl, Amstetten 1952, S. 26
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Mai 2006.
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