Das Bild der heiligen Kümmernis.

Kümmerniskapelle bin Kienberg © Harald Hartmann

Versetzte Wegkapelle an der östlichen Ausfahrt der Alten Straße,
um 1800, übergiebelt mit Halbwalmdach und rundbogigem Schmiedeeisengitter,
innen Leinwandbild hl. Kümmernis
© Harald Hartmann, August 2009


Auf der Straße von Scheibbs nach Gaming steht eine kleine Kapelle, in welcher sich das Bild der Jungfrau Kümmernis befindet. Das Bild hing ehemals auf der ,,Galgenleiten" bei Gresten. Die Legende lautet so: Ein heidnischer König hatte eine Tochter von wunderbarer Schönheit. Wer sie sah, fühlte sich in Liebe zu ihr hingezogen und mächtige Fürsten warben mit neidischem Verlangen um ihre Hand. Das schmeichelte wohl dem Stolze des Königs: allein das Gemüt der Prinzessin ward dadurch aufs tiefste erschüttert. Sie hatte im geheimen die Lehre des Heils kennen gelernt und war Christin geworden. Die Freuden dieser Welt hatten für sie den Wert verloren; sie kannte keine andere Sehnsucht, als ihrem Heiland zu leben und zu sterben.

Als sie von ihren Bewerbern sich immer mehr bestürmt sah, und der Vater endlich auf Entscheidung in der Wahl drang, da warf sie sich in ihrer Kammer auf die Knie und flehte zum Heilande, er möge ihre Schönheit verderben, die der Grund all ihrer Bedrängnis sei. Alsbald erscholl eine Stimme, welche sprach: ,,Wohlan, du sollst mir gleichen!" und ihr weibliches Antlitz. Nur für den eigenen Gebrauch verwandelte sich in ein männliches mit einem stattlichen Barte. Bei ihrem Anblick entsetzte sich der König und als sie ihm alles gestand, brach er in wütenden Zorn aus. „Bist du", rief er, „deinem gekreuzigten •Gott in einem gleich, so magst du ihm auch in dem andern gleich werden." Und er ließ ihr ein ärmliches Kleid anlegen und sie hinausführen, daß sie mit den Händen ans Kreuz genagelt werde. Zum Hohn bekam sie goldene Schuhe an die Füße und eine goldene Krone aufs Haupt. So litt und starb sie den gleichen Tod mit ihrem Heilande.

Eine Zeit nachher ging ein armer Geiger am Kreuze vorüber, traurig und voll Kummer um seines Weibes und seiner Kinder willen, die hungernd zu Hause saßen. Er sah die Leiche hoch am Kreuze hängen und dachte bei sich: „Wenn die gute Prinzessin noch lebte sie gäbe gewiß einen ihrer goldenen Schuhe, ünsre Not zu lindern." Er blieb stehen und fing an, auf der Geige ein Lied zu streichen, gleich als ob die tote Prinzessin sich daran erfreuen sollte. Und siehe, während er so geigt und zum Kreuze hinblickt, löst sich ein goldener Schuh vom Fuße der Königstöchter und fällt vor ihm nieder. Er betrachtete dies als eine Fügung von oben nimmt den Schuh und eilt freudig in die Stadt wo er ihn zum Verkauf anbietet. Allein, man ergreift ihn als einen Dieb und führt ihn vor den König. Vergeblich sucht er durch die Erzählung seines Abenteuers die Schuld von sich zu wälzen; er wird zum Galgen verurteilt, „Doch," spricht der König, , sollst du dein Leben behalten und frei sein, wenn du durch dein Geigenspiel auch den andern Schuh meinerTochter erlangst." Der König, von seinen Hofherren begleitet, ging selbst zum Kreuze und neugierig strömte die Menge des Volks herbei, denn die Sache war in der Stadt kund geworden. Als nun der Geiger in der Angst seines Herzens zu geigen begann, den Blick sehnsuchtsvoll zur Prinzessin gewandt, und die Töne zitternd aus der Geige quollen, siehe, da löst sich plötzlich auch der andere Schuh vom Fuße der Gekreuzigten und fällt vor ihm zur Erde.

So ward seine Unschuld aufgedeckt und der starre Sinn des Königs gebrochen. Die bärtige Prinzessin erhielt ein würdiges Begräbnis und der König mit dem ganzen Volke entsagte dem Heidentum
(Becker, Ötscher.)

Kümmerniskapelle bin Kienberg © Harald Hartmann

Leinwandbild hl. Kümmernis 17. Jhdt (?),
angeblich von der Galgenleiten, der ehem. Hochgerichtsstätte bei Gresten stammend.
© Harald Hartmann, August 2009

Quellen:
Calliano, Carl : Niederösterreichischer Sagenschatz, Bd. II, Wien 1926, S. 136 ff.
Dehio, Niederösterr. südlich der Donau, Bd. 2.