WEINE NICHT SO SEHR

Es war einmal in einem Orte ein "Dirnderl"; diesem starb ihr Herzliebster. Über das hat sie gar viel geweint, und kein Mensch hat sie trösten können. Einige Zeit nachher saß sie einmal auf dem "Gassenbankerl" vor ihres Vaters Haus und nähte an einem blauen "Fürtuch", welches sie sich machte. Sie wollte gerade die „Bandeln" annähen, als plötzlich eine schöne Frau daherkam, welche fragte, was sie da mache. Nachdem sie es der Frau gesagt hatte, entgegnete ihr diese, sie möge die Bandeln liegen lassen und nicht annähen; es werde in der folgenden Nacht um 12 Uhr ihr Liebster kommen und sie abholen; dann solle sie das "Fürterl" ohne Bandeln nehmen und bloß "hineinstricken", daß es halte. Darauf ist die schöne Frau wieder weg gewesen, wie verschwunden. Als die Mitternacht gekommen war, erschien richtig vor dem Fenster des Dirnderl ihr Liebster, klopfte an und sie mußte mit ihm gehen. Sie tat mit dem "Fürterl", wie es ihr die schöne Frau gesagt hatte und strickte es bloß hinein. Dann setzte sie ihr Liebster zu sich auf sein Roß - denn er war reitend gekommen - und nun ging es fort im Galopp! Der Mond schien spiegellicht. Als sie so eine Weile geritten waren, fing der Reiter plötzlich an:


Wie scheint der Mond so hell,
Wie reiten die Toten so schnell!
Dirnderl, fürcht'st dich ?


Sie entgegnete: Nein! - Nach einer Weile fing er dasselbe zum zweiten- und drittenmal an, worauf sie immer mit "Nein" antwortete. Endlich waren sie zum Freithof gekommen; beide ritten hinein; er sprang vom Pferd herab und riß auch das Dirnderl herab. Darauf stieg er in ein Grab und wollt' auch das Dirnderl mit hineinziehen. Da er sie aber beim Fürtuch gefaßt hatte, so riß er dieses, welches nachließ, mit sich hinein. Das war ihr Glück, denn das Fürtuch zerriß er in tausend Fetzen; und das wäre ihr selbst geschehen, hätte sie dasselbe umgebunden gehabt. Ohnmächtig fiel sie nieder. Des anderen Tages, als ihre Leute das Mädchen nicht fanden, gingen sie dasselbe suchen. Sie wußten, daß es öfters auf den Freithof gegangen war und schauten deshalb dort nach und richtig fanden sie das Mädchen dort noch liegen. Als sie es zur Besinnung gebracht hatten, erzählte es alles, was ihm begegnet war, worüber die Leute sich großmächtig verwunderten. In der Nacht darauf, als das Mädchen schon schlafen gegangen war, kam die schöne Frau zu ihr und sprach: „Siehst du, es war dein Glück, daß du mir gefolgt hast; laß dir das zur Warnung sein und weine ein andermal nicht mehr so, wenn eines stirbt; denn dieser hat einen gar schweren Weg machen müssen!" Darauf sagte sie noch, daß sie unsere liebe Frau sei und verschwand.


Kommentar: (Johann Wurth.)
Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band II, S. 25