DAS ENTWICHENE TRAGERL

Einmal faßten in einem Dorfe der Schullehrer, der Küster und ein Bauer den Entschluß, ein Tragerl zu suchen und es gemeinschaftlich zu benützen, denn der Bauer war so glücklich gewesen, im Walde eine Fenchelpflanze zu entdecken. In der Christnacht stahl der Küster den Kelch und die drei Bösewichte machten sich auf, die Pflanze zu suchen. Der Bauer hatte den Weg bezeichnet und sie fanden die Pflanze mit Leichtigkeit; der Schullehrer machte einen Kreis um dieselbe und alle drei stellten sich in denselben. Kaum war das geschehen, so kam der Teufel mit bösen Geistern und wollte die drei zerreißen, aber der Kreis hielt ihn zurück; endlich blühte die wunderbare Pflanze und aus der Blüte rollte das Tragerl heraus; der Küster hielt schnell den Kelch unter und fing es auf. Der Teufel stampfte vor Wut und verschwand. Nun gingen die drei Abenteuerer ganz guter Dinge nach Kause; der Teufel nahm aber die Gestalt des Pfarrers an, begegnete ihnen und sprach: "Ich weiß, wo ihr wäret, wenn ihr mir jetzt das Tragerl nicht auf der Stelle zeigt, so sage ich es dem Richter und ihr hängt morgen alle drei. Die Erschrockenen zeigten es dem vermeintlichen Pfarrer, welcher in den Kelch blies, so daß das Tragerl herausflog und unter gräßlichem Gelächter verschwand. Jetzt erst erkannten die Getäuschten, daß es der Teufel gewesen, und sie gingen betrübt und ohne Tragerl nach Hause.


Kommentar: (Vernaleken.)
Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band II, S. 49