WIE DAS KLOSTER VIKTRING GEGRÜNDET WURDE

Graf Bernhard aus dem Geschlechte derer von Spanheim, die im Jahre 1122 Herzöge von Kärnten geworden waren, und seine Gemahlin hatten einen einzigen Sohn, der Bruno hieß und in seiner schönsten Jugendblüte der Welt entsagte, um Mönch im Kloster St. Paul zu werden. Auch ihr Neffe Heinrich, den sie dann als Sohn und Erben ihrer großen Besitzungen aufnahmen, neigte mehr den geistigen als den irdischen Dingen zu. Zunächst wollte er an der Hochschule von Paris studieren. Er wurde am französischen Hofe, an dem damals Ludwig VI. mit seiner Gemahlin Adelheid residierte, freundlich aufgenommen. Insbesondere Konstanze, das schöne Königstöchterlein, hatte es ihm angetan. Und auch sie fand Gefallen an ihm, so daß sie ihn beim festlichen Turnier zu ihrem Ritter erwählte, indem sie die selbstgewebte blauweiße Schärpe um ihn schlang. Neid und Hochmut befielen nun die anderen Ritter, die sehen mussten, dass ihre Prinzessin den fremden Deutschen begünstigte, der sich so fein und sittsam benahm. Als er aber in die Schranken gerufen wurde, da zeigte er im Kampfe mit einem wilden Normannen solche Kraft und Geschicklichkeit, daß er vor allen anderen den ersten Preis gewann, eine goldene Kette mit dem von Edelsteinen umrahmten Bildnis des Königs.

Nach dem Turnier trafen sich die Gäste im königlichen Schloß zu Tanz und Bankett. Sie ließen sich in ihrer Festesfreude nur wenig stören, als in einigen kleinen Häusern der Umgebung ein Feuer ausbrach. Nur Heinrich hörte das Schreien und Jammern der unglücklichen Menschen und eilte sofort, um zu helfen. Sicher und klug hatte er bald das Feuer abgewehrt. Nachdem er auch noch sein ganzes Geld verteilt hatte, wollte er zurück zum Fest. Da hörte er noch ein Wimmern aus den Tiefen eines Gewölbes: es kam von einer Mutter mit drei kleinen Kindern. Er rettete auch diese noch aus Qualm und Rauch. Sie hatten nichts mehr als das nackte Leben. Und ihm war nichts mehr geblieben, womit er helfen konnte, als die goldene Kette. Er schenkte sie der Mutter und eilte dann zurück zum Schloß.

Als Heinrich im Park die Prinzessin traf, bedrückte es ihn schwer, daß er den kostbaren Turnierpreis verschenkt hatte. Er fiel vor ihr auf die Knie und gestand, was er aus Mitleid verbrochen. Konstanze verzieh ihm, nahm ihre eigene Kette mit einem Kreuz aus Perlen und Diamanten und hing sie dem Ritter um.

Diese Szene aber hatten seine Neider beobachtet und sofort eilten sie zum König und berichteten, daß die Königstochter dem Grafen von Spanheim heimlich ihre Liebe geschenkt habe. Darüber war der König so erzürnt, daß er den Grafen zu einem waffenlosen Kampf mit einem Löwen verurteilte. Unterliege der Spanheimer, so habe er damit seine Schuld gebüßt; gehe er als Sieger aus dem Kampfe hervor, so sei seine Unschuld erwiesen.

Unverzagt nahm Heinrich das Urteil auf sich. Im Traum erschien ihm die Himmelskönigin in ihrer Glorie und umfing ihn schützend mit ihrem Mantel. Ruhig und in der festlichen Kleidung eines Ordensritters, mit Konstanzes Kreuz auf der Brust, ging er zum Kampf in den Zwinger. Rings herum wogte es von Neugierigen. Als sich der schreckliche Löwe, brüllend vor Hunger, auf ihn stürzte, drückte Heinrich das Kreuz an die Lippen, griff nach den furchtbaren Pranken des Löwen und warf ihn zu Boden. Erschreckt kroch der Löwe zu seinen Füßen und folgte ihm winselnd zur Höhle, in die ihn der Ritter sperrte. Tausendstimmiger Jubel erscholl. Ein Triumphzug geleitete den Glücklichen in den Königssaal. Der König und die Königin wollten ihm nun ihre Tochter zur Frau geben, aber Heinrich von Spanheim fühlte plötzlich wieder die Macht des Himmels über sich und gelobte sich für immer der Himmelskönigin an. Am nächsten Tage schon trug er die weiße Kukulle des Zisterzienserordens in Morimond und bald wurde er Abt des Stiftes in Villars in Lothringen.

Graf Bernhard und Gräfin Kunigunde von Spanheim aber wollten zum Andenken an ihren Neffen ein Kloster in Kärnten errichten und baten Heinrich, ihnen einige Ordensbrüder zu senden. 1142 kamen mehrere Zisterzienser von Lothringen und richteten das Stift Sancta Maria de Victoria (Heilige Maria vom Siege) ein, aus welchem Namen später Viktring wurde.

Franz Pehr, Kärntner Sagen. Klagenfurt 1913, 5. Auflage, Klagenfurt 1960, Nr. 6, S. 17