BARBAROSSA IM BERGE

Steigt man zwischen Kleblach und Lengholz, unweit Lind im oberen Drautale Kärntens, am linken Flußufer auf den Hügel hinauf, so kommt man alsbald in der Richtung gegen das Kreuzeck auf eine Hochfläche, wo der Erdboden unter den Schritten ganz dumpf und hohl klingt. Das soll von den unterirdischen Höhlen im Innern des Berges herrühren. In einer dieser Höhlen liegen die Kriegsscharen Barbarossas verborgen und schlafen. Es ist aber nur ein Teil seiner Heeresmacht hier, die sich auch noch in zwei andern Bergen aufhalten soll.

Einmal ging der Sohn des Seifensieders von Blaßnig von der alten Kirche zu Lind allein nach Hause. Es war in der heiligen Nacht nach der Mette. Als er die Hochfläche betrat, sah er Krieger in großer Zahl aufmarschieren. Ihre Waffen glänzten im Mondlichte, und er vernahm ganz deutlich eine kriegerische Musik. Er war von dem Anblick überrascht, lief schnell zur Koflerhütte und weckte seinen Kameraden, den Koflersohn.

Nun sahen beide dem wunderbaren Schauspiele zu, bis die Kriegsschar mit klingendem Spiel abzog und im Walde verschwand. Am nächsten Tage erzählten sie alles ihren Nachbarn, und einige von ihnen konnten es bestätigen; denn sie hatten gleichfalls die Erscheinung gesehen und die Musik gehört.

Von Salzburg bis Villach im Kärntner Drautale, so erzählt die Sage, ziehen sich die unterirdischen Klüfte des Untersberges hin. Darin sitzt Kaiser Friedrich Barbarossa mit seinen Getreuen, und alle schlafen und warten auf ihre Erlösung. Öfters sind auch schon gewöhnliche Sterbliche in das unterirdische Reich gekommen. Zwölf Tore führen in den Untersberg, und eines davon soll in der Gegend von Villach zu finden sein.

Ein Fuhrmann hatte mehrere Fässer Wein auf seinem Wagen, da trat ihm ein Untersberger in den Weg und verlangte den Wein. "Gegen reichliche Bezahlung", so sagte er. Der Fuhrmann war einverstanden und fuhr mit dem Männlein. Da kamen sie mitten im Walde zu einem schönen Marmortor, auf dem in Goldbuchstaben der Name Untersberg stand. Eine schöne Straße führte in den Berg hinein, das Tor war aber "verblendet" und daher nicht für jeden sichtbar. Endlich kamen sie zu der Stelle, wo Kaiser Friedrich schlief. Sein Bart ging schon zweieinhalb Mal um den steinernen Tisch, an dem er saß.

Der Fuhrmann fragte, wann er denn erwachen werde, und der Untersberger antwortete: "Wenn der letzte Glaubenskrieg kommt." Danach gingen sie rings um den Berg, und überall sahen sie zu beiden Seiten der Straße Krieger in voller Waffenrüstung liegen und schlafen. Da zog der Fuhrmann einem der Männer das Schwert zur Hälfte aus dem Gehänge, und sogleich erwachte dieser und rief: "Ist es Zeit?" "Nein", sagte der Unterberger und stieß das Schwert zurück. Dann wandte er sich gegen seinen Begleiter und sagte: "Mensch, laß die Schwerter unberührt, sonst ergeht es dir schlimm!" Der Krieger aber fiel zurück und schlief weiter. Als der Fuhrmann endlich wieder aus dem Berge herauskam, waren sieben Jahre der irdischen Zeit verstrichen.

Östlich vom Kamme der Saualpe im Osten Kärntens, gegen das Lavanttal zu, liegen drei kleine Seen. In ihrer Tiefe dehnt sich ein Reich aus, in das nur große Helden nach ihrem Tode aufgenommen werden. Dort herrscht Kaiser Rotbart. Er sitzt an einem steinernen Tisch, und um ihn herum sitzen seine Tapferen. Neben ihm steht der Trompeter und wartet, bis der Kaiser winkt; dann stößt er in sein Horn und gibt allen ein Zeichen, daß sie sich erheben.

Der Bart des Kaisers ist um den Tisch gewachsen; aber erst dann, wenn er dreimal um den Tisch geht, ist die Zeit des Erwachens da. Dann wird die Trompete erschallen, und neue Völker werden auferstehen, die Seen werden aus ihren Ufern treten und das Tal überschwemmen. Nach dem Ablaufen des Wassers wird ein Krieg entbrennen, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat. Allen voran reitet Barbarossa, in seiner Rechten schwingt er das Schwert, und so führt er seine Getreuen zum Kampfe. Er wird siegen und wird Herrscher sein über das neue Reich.


Quelle: Götter- und Heldensagen, Genf 1996, Seite 588