Im Zwiatål

Geht man vom Zammelsberg nach dem naheliegenden Ort Kötschendorf, so führt der Weg auch an dem Gehöft des Murnbauers vom „Zwiatål" vorüber. Von der Bezeichnung im „Zwiatal" erzählt die Volkssage folgendes: Am Faschingdienstag sollte beim Kreuzwirt in Kötschendorf große Tanzunterhaltung sein. Alt und jung freute sich darauf. So auch die hoffärtige, stolze Magd des Murnbauern. Schon tags vorher dachte sie an nichts anderes als an den morgigen Tag und legte ihre schönsten Kleider bereit. Am nächsten Tag war sie schon in aller Früh auf den Beinen und schmückte sich aufs herrlichste, um nur ja den jungen Burschen des Dorfes zu gefallen. Gegen Mittag zog sie mit dem Maskenzuge beim Kreuzwirt ein. Ihre schöne Gestalt erregte die Bewunderung aller Tänzer. Mancher liebende Blick traf sie. Die hochmütige Dirn aber beachtete die armen Burschen nicht und tanzte nur mit den Schönsten und Reichsten des Dorfes. Die Musik ließ ihre fröhlichsten Weisen erschallen und wirbelnd drehten sich die Paare in der geräumigen Stube. Alles wollte heute noch fröhlich sein. Denn morgen begann ja die düstere Fastenzeit, in der es keine Lustbarkeit gibt. Sogar manches alte Bäuerlein führte sein Weib zum Tanze und ließ den beliebten „Steirischen" aufspielen. Am ärgsten trieb es aber die junge Magd und erregte durch ihr gottloses Treiben den gerechten Unwillen der Alten. Je näher die zwölfte Stunde heranrückte, desto leerer wurde das Wirtshaus, denn keiner wollte durch Entweihung der heiligen Fastenzeit Gottes gerechten Zorn auf sich herabbeschwören. Alle noch anwesenden Frauen und Mädchen weigerten sich zu tanzen. Nur des Murnbauern „Dirn" tanzte noch, als die Kirchenuhr die Geisterstunde und somit die vierzigtägigen Fasten ankündete. Lauter und wilder klang die Musik, während das einzige Paar sich in rasendem Tanze herumbewegte. Draußen erscholl lautes Gesause und Gebrause und fürchterlich tönte das Heulen des Windes, der über die Dächer dahinfuhr. Da bemerkte der entsetzte, schreckensbleiche Wirt, wie der jugendlichen Frevlerin auf Schritt und Tritt eine weiße Maus mit feuersprühenden Augen folgte. Hastig erzählte er es einigen erstaunten Gästen und bat sie, die Magd auf keinen Fall aus dem Hause zu lassen. Doch das schreckliche, unabwendbare Verhängnis sollte eher hereinbrechen als man ahnte. Die Unglückliche zeigte plötzlich eine furchtbare Erregung. Sie wurde bleich und ihre Augen traten hervor, und da bat sie ihre Beschützer flehentlich, sie auszulassen. Kaum hatten sie ihre Hände losgelassen, so stand sie auch schon vor der Tür des Hauses, wo sie sofort vom Teufel erfaßt wurde. Unter dem unheimlichen, grausigen Brüllen und Pfeifen der dahinjagenden Windsbraut entführte er sie in die Luft. Lange noch hörten die wie versteinert Dastehenden das Wimmern, Klagen und Schreien der so schrecklich Bestraften. Zwischen dem verhallenden Gewimmer ertönte ein gräßliches, teuflisches Lachen und eine gellende Stimme rief: „Ins Zwiatål, ins Zwiatål." Sich bekreuzigend, traten die erschütterten Gäste endlich auf die Gasse. Pech- und Schwefelgeruch verpestete die Luft, aber von der Magd war keine Spur zu finden. Als nun am nächsten Tage der Murnbauer, der vom schrecklichen Strafgericht Gottes gehört hatte, zu seiner Mühle, die einige Schritte unterhalb seiner Behausung in einem Graben stand, einen Getreidesack hinabtrug, bemerkte er zu seinem nicht geringen Entsetzen auf einem Baume Fetzen von dem Kleide der Verschwundenen. Seit jener Zeit wagt es niemand, zur Nachtzeit den Steig durch jenen Graben zu nehmen. Beim Murnbauer aber heißt es jetzt noch im „Zwiatål".

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
© digitaler Reprint: www.SAGEN.at