Von einem andern Wildschützen

Vor nicht zu langer Zeit soll in Windisch-Bleiberg und abwechselnd in Feistritz ein Jäger gelebt haben, der die Macht besaß, einen Gemsbock zu zwingen, daß er von selbst tränenden Auges in sein Haus kam. Eines Abends zechte er im Gasthause, als er von seinem Grafen den Auftrag erhielt, einen Gemsbock zu schießen. In seinem Rausche erwiderte der Jäger, daß nicht viel dazugehöre, denn der Gemsbock müsse ihm auf Wunsch ins Haus kommen. Voll Zorn über diesen Mißbrauch des edlen Weidwerks entließ ihn der Graf auf der Stelle. Tags darauf zog der Jäger in die Steiermark und begann dort ein Wildschützenleben.

Eines Abends übernachtete er in einer Almhütte, um seine Kameraden zu erwarten. Das Gewehr hängte er an einen Nagel, zündete auf dem Herde Feuer an und begann sein Pfeiflein zu rauchen. Plötzlich trat ein anderer Geselle ohne Gruß herein und hängte sein Gewehr an denselben Nagel, wo schon des Wilderers Waffe hing. Schweigend setzte er sich an die andere Seite des Feuers und tat alles, was der Wilderer tat. Stopfte dieser sein Pfeifchen, so stopfte auch der Fremde seines; nahm er eine Kohle zum Anfachen des Tabaks, so tat es der andere auch. Dabei sprachen sie kein Wort. Als der Morgen graute, ward der Jäger dieses unheimlichen Spieles satt, er schritt zur Wand, wo sein Gewehr hing und riß es herab. Dabei flog das andere in den Winkel. Jetzt rief ihm der stumme Geselle zu: „Hättest du meine Flinte berührt, so hätte ich dich zermalmt wie die Mühle das Korn.“ Schaudernd suchte der Wilderer das Weite.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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