Der Schicksalsspruch

In der Gegend am Loibl heißen sie Žark žane, d. i. Salige Frauen. Hier ist es üblich, vor der Geburt eines Kindes einen Laib Brot auf den Tisch zu stellen. Als nun einmal ein Knäblein geboren wurde und kein Brot bereitstand, sagten die Saligen, welche der Wöchnerin in ihrer schweren Stunde beistanden: „Das Kind wird großes Unheil stiften, es wird seine eigenen Eltern erschlagen.“ Eine Frau hatte dieses Gespräch belauscht und erzählte es der Mutter des Kindes. Als der Knabe größer geworden, teilte sie ihm den Sachverhalt mit und riet ihm, weit fortzuziehen, was er gerne tat, um seinem Schicksale zu entgehen. In der Fremde heiratete er ein schönes Mädchen und genoß mit seiner Frau viele Jahre ein trautes Glück. Während er eines Tages im Walde Holz hackte, kamen seine Eltern, die seinen Aufenthalt ermittelt hatten, in sein Haus und begrüßten das junge Weib aufs herzlichste. Doch der Tag neigte sich, und der Erwartete kam nicht nach Hause. Um die unverhofft gefundenen Schwiegereltern nach Gebühr zu ehren, wußte die Frau vor Freude nichts Besseres, als den von der langen Reise müden Leutchen die Ehebetten anzubieten, und hieß sie schlafen gehen.

Während dies im Hause vorging, erschien dem Manne im Walde ein Vöglein und sang: „Dein Weib indes hat andere… dein Weib indes hat andere…“ und so fort im Takte, bis er in hellem Zorn und wütender Eifersucht nach Hause lief und wirklich ein Weib und einen Mann in seiner Schlafstube liegen fand. In blinder Wut erschlug er beide mit der Axt. Doch eben nach der Tat sah er sein Weib über den Hof herschreiten und fiel vor Schreck über die unselige Tat entseelt zu Boden.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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