Der Untergang der Stadt Risa

Wie die Volkssage erzählt, stand vor Zeiten am Fuße des Reißkofels die Stadt Risa, welche bei einem furchtbaren, mit Erdbeben gepaarten Gießwetter durch den Absturz des Reißkofels wohl vor tausend Jahren verschüttet worden sein soll.

Als die Stadt Risa noch stand, gingen drei Herren aus der Stadt, um notwendige Geschäfte zu besorgen, hinüber ins Drautal. Um den Weg abzukürzen, wanderten sie über die „Ochsenschlucht" (einen Saumpfad zwischen Reißkofel und Jauken), wo dazumal noch ein sehr guter, vielbetretener Weg war. Als sle zur Höhe hinaufkamen, begegnete ihnen ein alter Schafhirt und erzählte ihnen, daß er in aller Früh drei fremde Männer mit dreispitzigen Hüten und langen Schwertern an der Seite vom Reichkofel bis zum Köpfach herabgehen gesehen habe; er sei ihnen voll Neugierde nachgeschlichen und habe ihre Reden belauscht; da habe er gehört, wie sie miteinander sprachen, daß die Bewohner der Stadt Risach schon so verdorben, so schlecht und gottlos wären, daß Gott den Untergang der Stadt beschlossen und sie als Schicksalsmänner ausersehen habe, den Beschluß auszuführen. „Wenige Tage noch", riefen sie, „und Risach ist nicht mehr." Darauf zogen sie ihre Schwerter aus der Scheide, schwangen sie nach allen vier Weltgegenden, stellten sich einer nach Osten, einer nach Westen, einer nach Süden auf, schlugen mit den Schwertern in den Erdboden hinein und verschwanden. Das erzählte ihnen der Schafhirt, aber die drei Herren verlachten ihn als einen, der bei hellichtem Tage Gespenster sehe, und gingen ihres Weges weiter, ohne das Gerede des Schafhirten zu beachten.

Als sie nach längerer Abwesenheit wieder über die Ochsenschlucht ins Gailtal zurückkehrten und an die Stelle kamen, wo man zum erstenmal in das Tal hinabsehen kann, blieben sie starr vor Entsetzen stehen. Das ganze Tal war verwüstet, mit Gerölle, Schotter und Felsblöcken bedeckt und von der schönen, herrlichen Stadt war nichts mehr zu sehen. Da fielen die drei Herren auf ihre Knie nieder, zerrauften sich das Haar, weinten und jammerten über den Verlust ihrer ganzen Habe. Als sie sich endlich erhoben, warfen sie noch einen traurigen Blick auf ihre verschüttete Heimat, wandten dem Gailtal den Rücken und wanderten hinaus in die Welt.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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