Die St. Veiter Räuber

Gar oft hört man im Volke die alte Kärntner Hauptstadt St. Veit als „Räuberstadtl" bezeichnen, was wohl nicht allein der Lust an boshaftem Scherz entspringen mag, sondern zum großen Teile auf die alte Überlieferung zurückgeht, die sich an die Umgebung von St. Veit heftet. In den großen Waldungen nahe der Stadt sollen sich in früheren Zeiten allerhand Leute aufgehalten haben, über deren Herkunft und Stand niemand Auskunft geben konnte. Es war zusammengelaufenes Gesindel, das in den zerstreut liegenden Bauerngehöften wegen seiner bei Diebstählen und Raubzügen bewährten Geschicklichkeit und Schlauheit gefürchtet war. Gewöhnlich hielten sich die Räuber im Walde nächst der Stadt auf, weshalb es auch bei Tage gefährlich war, diesen zu durchqueren; denn nicht nur daß die Reisenden meist überfallen und beraubt wurden; manche bekamen auch die Grausamkeit der Buschklepper zu spüren. Mit welcher Keckheit diese zu Werke gingen, beweist folgende Geschichte:

Es war zur Zeit der Christmette; die Leute des Hofes Stickelberger in Dellach waren zur Kirche gegangen und nur eine Magd als Haushüterin zurückgeblieben. Dieser kam es nicht ganz geheuer vor, und als sie gar ein verdächtiges Geräusch und einen dumpfen Fall hörte, glaubte sie Gespenster zu vernehmen, die ihr in der Heiligen Nacht die Zeit verkürzen helfen wollten. Doch als am nächsten Tage die Bäuerin in die „Kemat'n" (Kammer) ging, um für ihre Leute einen Imbiß zu holen, erlebte sie eine unliebsame Überraschung: von all den guten Sachen, die sie hier aufbewahrt, war nicht der kleinste Rest zu sehen, so sauber hatte die Bande alles ausgeräumt.

Solche Begebenheiten waren damals gar nicht selten und jeder Besitzer hatte Grund, für sein Eigentum zu zittern; und dennoch wagte es niemand, ihnen entgegenzutreten, denn sie verstanden es, die Bewohner durch ihre Verwegenheit einzuschüchtern.

So hatte es der Preilitzwirt, der mit ihnen eine Zeitlang im Einvernehmen stand, gewagt, einige von ihnen zu verraten und mußte dafür den ganzen Zorn der Bande fühlen. Er fiel ihnen in die Hände, wurde an den Füßen auf einen Baum gehängt und unter ihm ein Feuer angezündet, so daß er die schrecklichsten Qualen erdulden mußte, bevor ihn der Tod erlöste.

Als es der Behörde endlich gelang, ihrer Herr zu werden, gewann man erst ein klares Bild ihrer Beziehungen, denn die angesehensten St. Veiter Bürger waren als Hehler in die Sache verstrickt. Daraus mag sich das boshafte Sprichwort erklären, das noch lange im Umlauf war: Wenn die St. Veiter Bürger beim Mittagstische sitzen, mag man ungefährdet durch den Wolschart-Wald gehen.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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