Der Feldherr im Möselofen

Am Fuße des Möselbergers gegenüber der Bahnstation Mösel erhebt sich eine langgestreckte, teilweise bewaldete Höhe, der „Möselofen“, die an einzelnen Stellen kahle Felsenmauern aufweist. Man erzählt, daß einst ein beim Möselofen beschäftigter Arbeiter in diesem ein dem Ticktack einer Wanduhr ähnliches Geräusch vernommen und auf dem Felsen einen geharnischten Ritter gesehen habe, der auf die Vorüberziehenden mit einer Schußwaffe zielte.

Ein Binder ging einst Samstag abend beim Möselofen vorbei nach Lölling. Da begegnete ihm ein Männchen mit roter Kappe und sprach: „Geh ins Schloß binden; du trägst zwölf Reifen und im Schlosse sind zwölf Fässer zu binden.“ Der Binder weigerte sich anfänglich, dem Männlein zu folgen, indem er vorgab, daß am Feierabende keine Arbeit gestattet sei. Als jedoch das Männlein mit den Worten drohte: „Wenn du nicht gehst, so zerreiß' ich dich“, folgte er ihm ohne weitere Widerrede. Nachdem die beiden in die Nähe der Burg gekommen waren, nahm das „Mandl“ von einer Haselnußstaude die Torschlüssel und sperrte das Burgtor auf. Der Binder war voll Verwunderung, als er bei seinem Eintritte den Schloßhof von Kriegern und Schimmeln bedeckt sah. In der Mitte des Kriegsvolkes saß ein Feldherr in einem Lehnstuhle und blätterte in einem Buche, das vor ihm auf einem steinernen Tische lag, um welchen sein langer, weißer Bart schon zweimal gewachsen war. Nach der Weisung des Männleins, das ihn unablässig ermunterte: „Eile, eile, denn die Stunde ist bald vorbei“, band er auf jedes Faß einen Reif, wofür ihm nach getaner Arbeit gestattet ward, aus einer Silbertruhe zwölf Faustvoll Silber zu nehmen. Als er sich danach eben zum Fortgehen anschickte, stieß er unversehens an eine der Trommeln, die hinter dem graubärtigen Feldherrn aufgestellt waren; bei diesem Geräusch entstand unter den vorher regungslosen Gestalten allgemeine Unruhe und Bewegung, welcher der Schloßzwerg dadurch ein Ende bereitete, daß er dem „Oberherrn“ versicherte, der Trommelschlag sei durch bloße Unvorsichtigkeit des davoneilenden Binders erfolgt.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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