Der Unbekannte als Hochzeitsgast

Auf dem Wege nach Schlatten, südwestlich von St. Jakob im Rosentale, stieß ein lustiger Wanderer auf ein Totenbein, das am Wege lag. „Bein, sei mein Gast“, rief er lachend und schob es mit dem Fuß zur Seite. „Ich werde schon kommen“, rief es von dort, wohin er den Knochen geschleudert, und entsetzt eilte er heim.

Kurze Zeit darauf heiratete er und hielt lustige Hochzeit. Da erschien plötzlich unter den Gästen ein Mann, den niemand kannte, der aber, wie er sagte, geladen worden. Nach dem Mahle, als der Tanz anhub, lud jener den Bräutigam ein, ihm vors Haus zu folgen. Sie waren erst wenige Schritte gegangen, so hatte die Landschaft mit einem Male ein verändertes Aussehen. Lag erst noch tiefer Schnee auf Wald und Feld, so prangten sie jetzt im schönsten Frühlingsgrün. Verwundert betrachtete der Bräutigam eine Weile die Wandlung, doch der Begleiter sprach lächelnd: „Erst folgte ich deiner Einladung und war dein Gast an deinem Ehrentage, nun bist du der meine an dem meinen.“

Da gedachte jener, daß er zu den Hochzeitsgästen zurückkehren müsse und verabschiedete sich. Doch kaum hatte er ein paar Schritte getan, da kam ihm alles so gar fremd vor, so ganz anders die Häuser, anders die Tracht und Sprache der Leute. Er betrat sein Haus, doch fremde Menschen kamen ihm daraus entgegen. Erstaunt sagte er den Leuten, daß er vor ganz kurzer Zeit von der Hochzeitstafel weggegangen si und nannte seinen Namen. Da erinnerten sich alte Leute einer Sage, die sie erzählen gehört, daß vor vielen, vielen Jahren der damalige Besitzer dieses Hauses an seinem Hochzeitstage verschwunden sei und daß man nie mehr von ihm vernommen habe. Als man sodann im Kirchenbuche nachsah, fand man, daß dies vor zweihundert Jahren geschehen war.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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