Die Hexe im Loibltale

In alter Zeit lebte im Loibltale ein altes Weib, von dem man erzählte, daß es vom Teufel besessen und daher imstande gewesen sei, in Verlust geratene Gegenstände oder Vieh, das sich beim Trieb über den Loiblpaß verlaufen hatte, wieder ausfindig zu machen. So mancher hatte seine Kraft in Anspruch genommen und war durch die Hexe wieder zu dem Seinen gelangt.

Einmal verlor ein Bauer zwei Ochsen und suchte die ganze Gegend ab, doch ohne Erfolg. Da rieten ihm die Nachbarn, die Hilfe der Zauberin in Anspruch zu nehmen. In seiner Verzweiflung befolgte er den Rat, begab sich zu ihrer Hütte und bat sie um Auskunft. Sie entgegnete: „Heute weiß ich nichts. Komm morgen zur selben Stunde, da werde ich dir Bescheid geben können.“ Voll Neugierde, wie sie es anstellen werde, blieb der Bauer in der Nähe des Häuschens, um das Weib bei allen seinen Handlungen zu beobachten. Als die Nacht hereinbrach, zündete die Hexe ein Kerze an und legte sich zu Bette. Der Bauer, der ans Fenster getreten war, sah um Mitternacht eine schwarze Gestalt an sich vorbei ins Zimmer huschen, ohne daß die Tür geöffnet wurde. Dann trat der Schwarze zur Kerze und entblößte die behandschuhten Hände, und o Schreck! An den Fingern, welche nach der Flamme griffen und sie auslöschten, bemerkte der Bauer lange Krallen. Da ergriff er schleunigst die Flucht und wagte später nicht mehr nach den verlorenen Ochsen zu fragen.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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