Der Had

Ob Leoben im Katschtale höht sich der Pressingberg. Da lebte ein Bauer, bei welchem eines Tages ein Mann erschien, so riesengroß und ungeschlacht, daß es bei seinem Anblicke dem winzigen Bäuerlein kalt über den Rücken lief. Der Had hatte so furchtbar große Augen, daß er die mächtigen Lider wie Balken mit der Hand emporheben mußte, um seinen Weg zu sehen. „Du“, sprach er zum erschrockenen Bauer, „ich kann meine Augenbalken nicht mehr solange aufhalten; ich finde aber sonst den Weg nicht recht bergauf. Geh, führe mich hinauf zu meiner Behausung!“ Willig gehorchte der Bauer, denn der Had versprach ihn so zu belohnen, daß ihn der Weg nicht reuen werde. Weil es ihm aber heimlich vor dem Riesen qraute, nahm er den größten Stock mit, der die tüchtigste Eisenspitze besaß. So wanderten die beiden der Höhe zu: das Bäuerlein voran, hinterher der Had, sich an dem Stecken haltend, den der Führer zurückreichte. Schon hatten sie den Wald hinter sich und gingen über eine grasige Wiese. Da verlangte der Had Rast zu halten, um auszuschauen. „Nun, du hast mich schon recht geführt“, sprach er und schob seine Augenbalken in die Höhe, „ich fände jetzt wohl allein weiter; aber weil ich nichts bei mir habe, um dich zu belohnen, mußt du noch ein Stück Weges mit mir gehen.“ Sprach's und setzte sich wieder hinter dem Bauer in Bewegung. Da hielt der Had endlich vor einer Kranawetstaude (Wacholder), die an einem Felsblock stand, schob beides beiseite und siehe! es war der Eingang zur Grube, in der er wohnte. Auf einen Wink folgte ihm der Bauer in die Tiefe.

Die erste Höhle, welche sie durchschritten, war leer. Dann gelangten sie in einen zweiten weiteren Raum. Eine Unmenge Schuhzeug, Sohlen, Über- und Unterleder, fertige und halbfertige Schuhe bedeckten den Boden und schienen des Meisters zu harren. „Jetzt bring' ich dir den Lohn", sagte der Had. „Bleib da, aber verlange selbst keine Entschädigung." Darauf entfernte er sich und ließ den Bauer allein zurück. Dieser sprach beim Anblicke der vielen Schuhe am Boden zu sich selbst: „Was braucht er denn lange zu suchen? Es ist ja genug da, ein Paar Schuhe sind mir sehr vonnöten!“ Bei diesen Werten trat der Had auf ihn zu und redete ihn an: „Mußtest du denn selbst den Lohn wählen? Schau, wärest du still geblieben, ich hätte dir das Ganze gegeben." Und er hielt ihm einen Klumpen goldgelben Karfunkel vor. „So aber sei nur das dein", sprach er und gab ihm ein kleines Steinlein, das noch immerhin ein Königreich wert war. „Das Paar Schuhe kannst du auch haben, worauf dein Wunsch gerichtet war. Aber wohlgemerkt! Geh nie damit auf den Freithof.“ Nach diesen Worten schickte er sich an, den Bauer zu entlassen: „Halt her deinen Finger, ich will sehen, wie stark die neue Welt ist!“ Mit Mißtrauen den Riesen betrachtend, bedachte sich der Bauer zur rechten Zeit und reckte die Eisenspitze seines Bergstockes hin. Der Had faßte sie zum Abschied mit seiner Hand und zerdrückte sie wie Butter. „Sein tut's nicht einmal gar so schlecht“, sprach er gutmütig, „aber unsere Leute waren doch weit stärker.“ Dann ging der Bauer leichten Herzens davon.

Er hatte lange, lange Jahre an den geschenkten Schuhen zu tragen. Einst aber sollte er zu einer Bestattung gehen. In der Eile vergaß er des Verbotes, ging mit ihnen zum Begräbnis und betrat den Friedhof. Doch weh, als er heimkehrte, hingen die Fetzen von seinen Füßen. Des Haden Worte hatten sich erfüllt.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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