Das Geschenk der Hadin

Auf den Wiesen einer hohen Alm im Liesertale irrte ein weinendes Dirnlein herum. Es war der Sennerin Kind und sollte die verlorenen Geißen suchen, war aber dabei irregegangen. Auf einmal kam ein großes Weib, eine Hadin, auf das Kind zu und fragte es staunend, wie es sich habe so arg vergehen können. Da weinte das Mädchen vor Schreck noch lauter als vorher und bat die Hadin um Auskunft. „Ja“, sprach diese in gütlichem Tone, „sonst kann ich dir nichts tun als ein Knäule Zwirn geben, dessen Faden nie ausgehen wird. Solltest du aber einmal zu nähen beginnen und den Anfang des Fadens nicht finden, so sage ja nicht unmutig: Jetzt find ich den Anfang nimmer! Denn dann ist's aus damit.“ Die Frau verschwand und das Mädchen fand bald danach den Weg zur Almhütte und hatte viele Jahre Zwirn. In ihren alten Tagen aber gelang es ihr einmal nicht, den Fadenanfang zu finden, und zornig rief sie aus: „Jetzt find ich den Anfang nimmer!“ Zwar wand sie den vorhandenen Knäuel noch ab, aber der unversiegliche Faden hatte ein Ende.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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