Der Fuhrmann

Eine Frau ging spät abends von Rosegg nach St. Jakob. Der Weg führte über einen Berg, und in finsterer Nacht mußte sie die Anhöhe erklimmen, dann durch einen unheimlichen Graben wandern. Anfangs begegnete sie noch manchem Bäuerlein, das sich verspätet hatte und im Vorübereilen ihren Gruß erwiderte, später aber traf sie keine lebende Seele mehr an. Einsam ging sie ihren Weg weiter. Als sie in Gedanken versunken den Berg hinanstieg, schien es ihr, als sähe sie auf einer nahen Wiese viele Leute Heu aufschichten. Sie beschleunigte ihre Schritte, wandte sich aber doch einmal ängstlich um und sah dasselbe Schauspiel. Die Schar drängte sich hinter ihr her immer näher an sie heran. Nach einiger Zeit, in der sie tüchtig ausgeschritten war, hielt sie wieder Rückschau; wieder dasselbe Bild. Als sie die Anhöhe erreicht hatte, konnte sie es nicht unterlassen, ein drittes Mal umzusehen. Da bemerkte sie ganz nahe eine unheimliche Gestalt und stammelte ein kurzes Gebet für die Erlösung der armen Seele. Im Nu verschwand der Spuk. Sie eilte in höchster Angst weiter und erreichte endlich ein Bauernhaus, ging hinein und erzählte den Leuten, die über den ungebetenen Gast staunten, was ihr begegnet. Die Bäuerin wußte alles sogleich zu reimen. Sie erzählte, daß am Heiligen Abend des verflossenen Jahres ein Fuhrmann über den Berg Bretter geführt habe. Ob dieser Sünde sei er gestraft worden. Denn als er durch den Graben gefahren, sei der Waagen umgestürzt und er so unglücklich hinabgeschleudert worden, daß er tot liegen geblieben.

Seine Seele hatte keine Ruhe gefunden und auf Erlösung geharrt; durch die Frau ward sie ihm zuteil.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
© digitaler Reprint: www.SAGEN.at