Die Billeweiß im Görtschitztal

Die Billeweiß heißen im Görtschitztal auch weiße, wilde, schwarze oder hadische Frauen, im Trixnertal bele žene, und zeigen in ihrem Wesen enge Verwandtschaft mit den Saligen. Sie waren der Sage nach von zartem, feinem Körperbau und trugen lang herabwallendes Haar von blonder oder schwarzer Färbung. Ihre Gesichtsfarbe war blaß - es heißt wohl auch, daß sie ein rüsselartig verzogenes Antlitz hatten -, die Kleidung schwarz. Als Kopfbedeckung diente ihnen eine Spitzhaube. Sie wohnten zu zwei, drei oder fünf in Steinhöhlen, den sogenannten „Frauenluken“, wo sie die Zeit meist mit Gesang und Kämmen ihres reichen Haares verbrachten. Sie waren Freundinnen der Hirten und Bauern, denen sie die Zeit der Aussaat und den Geburtstag ihrer Kinder ankündigten. In Begleitung von kleinen schwarzen Hunden besuchten sie die Gehöfte der Bauern, trockneten die Windeln der Kinder und labten sich an der Milch, die ihnen von der Bäuerin in gewinnsüchtiger Absicht vorgesetzt wurde. Auch waren sie Prophetinnen des Volkes, das ihnen die Weissagung in den Mund legte. „Wenn die Bäuerinnen nachmittags Butter rühren und die Hühner nachmittags Eier legen, werden schlechte Zeiten kommen.“ Den Hirten nahmen sie hie und da ein Tier, und nachdem sie dessen Fleisch verzehrt hatten, überzogen sie die zurückgelassenen Knochen mit der Haut, worauf das Tier wieder zu Leben gelangte. Das Peitschenknallen der Hirten und Fuhrleute hat sie im Laufe der Zeit verscheucht.

Als ehemalige Wohnungen der Billeweiß werden im Görtschitztal die Krainerhöhle bei Reinegg, die Jaxeliten auf der Lorenzihöhe ob St. Johann, die Kultschnigwand in der Gutschen, der Möselofen, die Steinwände von St. Oswald, Wieting und Hüttenberg genannt.

1. Einst spielte ein zweijähriger Knabe auf dem Preglitzerfelde. Da kamen zwei Wilde Frauen und führten ihn in ihre Steinwohnung auf der Kultschnighohe. Vier Jahre verstrichen dem Knaben in größter Langeweile und Einförmigkeit, denn er mußte stets in der einsamen Höhle verweilen und durfte sie gar nie verlassen. Eines Tages nahm nun eine der Frauen den trauernden Knaben auf ihren Schoß, streichelte ihm die Haare und sprach, in der Meinung, daß er schlafe, zu der Nebensitzenden: „Mich dauert das arme Kind. Wenn es gescheit wäre, so könnte es leicht ins Freie gelangen. Würde es durch den Brombeerstrauch kriechen, der vor der Höhle steht, so könnte es ja gehen, wohin es immer wollte.“ Der Knabe, dem kein Wort entgangen war, schlüpfte schon am nächsten Tag durch den genannten Strauch, entfernte sich eilends von der Höhle und kam glücklich und wohlbehalten zu seinen Eltern.

 

2. Einst kam zu Mägden, die auf einem Hirseacker nächst Wieting Unkraut jäteten, eine Weiße Frau, rupfte die kleinen Hirsepflänzchen aus der Erde und setzte sie umgekehrt, d. h. mit den Wurzeln nach aufwärts, in den Boden ein. Die Mägde, die ob ihrer Zaghaftigkeit dem geheimnisvollen Treiben der wilden Frau ganz ruhig zusahen, erzählten bei der Heimkunft ihr Erlebnis der Hauswirtin. Die erfahrene Bäuerin belobte die Mägde für ihr gelassenes Verhalten und sprach: „Wir werden heuer mit der Hirse Glück haben." Die Ahnung des Weibes ward im Herbste tatsächlich aufs glänzendste erfüllt, denn im selben Jahre gab ein Schober Hirse einen Vierling Kern.

 

3. Als einst das Weib eines Bauers frühzeitig aufstand, um das Morgenmahl für das Hausgesinde zu bereiten, erstaunte es nicht wenig, als es wieder in die Stube kam und bei ihrem schlafenden Manne eine Weiße Frau liegen sah. Das unangenehm überraschte Weib bemeisterte jedoch seine Aufwallung und verhielt sich ganz ruhig, indem es dachte: Die Weiße Frau ist ein halb geistiges Wesen, sie soll nur bei dem Bauer bleiben, vielleicht bringt mir dies Nutzen. Ohne ein Wort zu sprechen, ging die Bäuerin wieder in die Küche, kochte Sterz und als sie ihn „gelunden“, brachte sie eine Schüssel voll in die Stube. Bei ihrem Eintritte erhob sich die Billeweiß, deren Haar bis zum Boden wallte, und sprach: „Weil du mich ruhig im Bette liegen ließest, gebe ich dir diesen Knäuel Zwirn, der dir beim Abspulen nie zu Ende gehen soll. Nur hüte dich, dabei zu sagen: Der Knäuel ist klein und hat doch kein End'. Solltest du je diese Worte sprechen, so wird er sofort verschwinden.“ Sechs Wochen verflossen seit diesem Vorfall, da kam zu der eben den Knäuel abhaspelnden Bäuerin ein Mädchen um Bier. Während sie das gewünschte Bier holen ging, wickelte das „Dirnle“ den Knäuel in aller Eile ab, in der Meinung, bis zur Rückkehr der Bäuerin damit fertig zu werden; doch trotz des emsigsten Windens blieb der Knäuel stets gleich groß, worüber sie gegen die zurückkehrende Bäuerin ihr Staunen aussprach: „Es ist doch rätselhaft, daß der Knäuel, der so klein ist, kein Ende hat!“ Kaum war dies gesagt, verschwand der Knäuel.

 

4. Wie von den Saligen erzählt die Sage von den Weißen Frauen, daß sie den Umgang und Verkehr mit Männern des Tales suchten.

Einst fuhr ein Fuhrmann von Eberstein nach Preglitz in Walburgen, da rief ihm von der Kultschnighöhle eine Weiße Frau die Worte zu: „Du Straßenschlingel, sag’ dem Preglitzer Hausdrischel, daß die Nachtigall krank ist“ (d.h. der Entbindung nahe). Der Fuhrmann richtete seinen Auftrag aus worauf sich der Knecht sofort nach dem Steinofen begab, von dem er nie wiederkehrte. Ganz ähnlich lautet eine Sage von der Reinegger Felswand.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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