Die  Sage  von  der  versunkenen  Glocke

Die Gegend um Olbendorf hatte in alter Zeit gar viel zu leiden von all den wilden Völkern, die von Sonnenaufgang heranstürmten und überall sengten, raubten und mordeten. In vielen Dörfern zwischen Pinka und Raab sollen mitunter - wie die Leute behaupten - noch heute die Geister der Erschlagenen herumirren und den nächtlichen Wanderer erschrecken.

Nach den Türken kamen die Kuruzzen, ungarische Aufständische, die oft noch schlimmer als die Türken hausten. Die Leute trieben das Vieh in die Wälder und vergruben wertvollen Hausrat, damit ihr Hab und Gut nicht geraubt werde. Große Aufregung herrschte in Olbendorf, als das Herannahen des Feindes gemeldet wurde. Man rettete, was man nur konnte, und so wurde auch die große Schlossturmglocke bei einem Bründl am südlichen Ortseingang vergraben.

Als der Feind endlich abzog und die ärgsten Schäden an den Häusern, Scheunen und Stallungen behoben waren, ging man daran, die Glocke auszugraben, wobei nach einer alten Überlieferung nicht gesprochen werden durfte, da sonst die Glocke immer tiefer sank und nicht mehr geborgen werden konnte.
Nach langem, beschwerlichem Graben in dem weichen, morastigen Grund stieß man endlich auf die Glocke. Aufatmend blickten die Leute einander an. Da leuchtete ihnen auf einmal heller Feuerschein ins Gesicht, und im Aufblicken gewahrten sie zu ihrem Entsetzen ganz Olbendorf in Flammen. - "Bei mir brennt´s!" - "Jessas, bei mir a!"

Sie ließen das Werkzeug fallen, und ein jeder rannte, so schnell ihn die Füße trugen, nach seiner Behausung, um dort zu retten, was noch zu retten war.

Wie staunten sie aber, als sie das Dorf erreichten und die Häuser friedlich und behäbig - ohne das geringste Anzeichen eines Brandes - vorfanden. Da schüttelten sie die Köpfe und konnten die Sache nicht erklären. Und doch hatten sie alle die lodernden Flammen gesehen.

Bald stapften sie wieder zu ihrer Grabungsstelle zurück. Dort jedoch erwartete sie eine neue Überraschung: Die Glocke war verschwunden!

Zu spät wurde ihnen bewußt, daß sie vom Teufel genarrt worden waren, der sie weggelockt hatte, damit er die Glocke während ihrer Abwesenheit versenken konnte.

Noch heute heißt es, daß beim Wiesenbründl die versunkene Glocke ruhe.
Sonntagskinder haben sie sogar schon läuten gehört.

Anmerkung:

Erweiterte Versionen, welche älteren Personen vor Ort bekannt sind, die jedoch bisher nicht aufgezeichnet wurden:

In diesen ist der Kern der Erzählung ident, jedoch handelt es sich in der ersten Version um eine Glocke „aus purem Gold“, wobei das Betreten des Areals des Castrum den Landgutbewohnern verboten war, in der anderen Version wird die Sage im Sinne der nun provozierten „destruktiven“ Konsequenz noch ergänzt, wonach „durch den Verlust der Schlossturm-Glocke nun auch das Schloss selbst zu versinken begann“.  
Abweichend ist den erwähnten Versionen eigen, daß in deren Einleitung das Areal um das Castrum mit dem Gebietsnamen „Ulm“ bezeichnet wird.


Quelle: Publizierte Version der Sage durch die Gemeinde Olbendorf bis zum Jahre 2004, Emailzusendung von Helmut Windisch am 4. Juli 2006.