Der Fluch

Vor vielen hundert Jahren herrschte emsiges Leben an der Stätte der heutigen Auen. Eine schöne Stadt, "Frauenstadt" genannt, stand da in voller Blüte.

Einst feierte diese Stadt ein großes Fest. Jung und alt war zur Belustigung geeilt. Nicht einmal die Frauen waren bei ihren Kindern zu Hause geblieben. Als die in Ehren alt gewordene Waberl dies sah, erfaßte sie solch gerechter Zorn, daß sie ausrief:

"Möge die Stadt mit allen ihren Bewohnern versinken und so lange unter der Erde verschollen bleiben, bis eines Tages fromme Nachkommen sie wieder erlösen werden!"

Und so geschah es auch, die Stadt versank tief unter die Erde. Seit dieser Zeit haust aber eine Natter anstelle der prunksüchtigen Stadt. Die Schlange trägt ein goldenes Krönlein auf dem Kopf, das mit kostbaren Edelsteinen verziert ist. Im Maul hat sie einen silbernen Schlüssel, mit dem man den Eingang zur Frauenstadt öffnen kann.

Da gingen einmal zwei Leute zum Bahnhof. Als sie über die Wiese gingen, sahen sie die Kranzelnatter mit dem Schlüssel im Maul. Sie führte sie zu einer eisernen Tür und zeigte ihnen, daß sie nun den Schlüssel nehmen und aufsperren sollen.

Da begann aber gerade die Morgenglocke zu läuten, und die Natter verschwand. In hundert Jahren wird sie aber wieder erscheinen. Glückt es dann einem Menschenkind, die Natter zu sehen, so wird dieses den Eingang zur Frauenstadt öffnen und die versunkene Stadt auffinden können.


Quelle: Mein Heimatdörfchen Wiesen im Burgenlande, August Strobl, Neusiedl am See 1929, S. 14, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 201.