DIE TÜRKEN VOR GÜSSING

Eine Belagerungsgeschichte, wie man sie oft erzählt,

neu gefasst von Heinele


Rollenspiegel: Graf, Verwalter, Koch, Frauen, Kinder, Volk; Großwesir, Sultan


Es war eine schlimme Geschichte, die Sache mit der Türkenbelagerung, und man hat sie in Güssing schon oft erzählt: Die Türken waren wieder einmal auf dem Weg nach Wien, und sie wollten bei dieser Gelegenheit auch die Burg Güssing einnehmen. Ein riesiger Heerhaufen lagerte seit Wochen rund um die wehrhafte Burg, nachdem sich der Anstieg auf den Felsen doch als ziemlich beschwerlich erwiesen hatte:

Die Bewohner der Burg waren so unfreundlich gewesen, die Tore zu schließen, und wenn die Janitscharen mit langen Leitern die Mauern hochklettern wollten, warfen die bösen Leute auf der Burg die Leitern einfach um, und die hilflosen Angreifer stützten in die Tiefe. Dabei regnete es sogar Pech und Schwefel, - oder sonstige unangenehme Dinge von der Höhe herab!

So blieb man eben in sicherer Entfernung und wartete, bis den Verteidigern in der Festung der Magen knurrte und der Speisenvorrat zu Ende ging! Die Belagerer hatten in den Bauernläden der Umgebung genügend zur Selbstbedienung, - und so konnten sie es schon eine Weile aushalten.

Der tapfere Burggraf, ich glaube er hieß Franz Batthyány, leitete höchstpersönlich die heldenhafte Verteidigung der Burg. Aber die Sache dauerte ihm schon ein wenig zu lange, und weil er die Absicht der Türken durchschaut hatte, besann er sich auf eine List:

Graf: Leute, ich sage Euch, Ihr seid doch die tapferste Verteidigungsmannschaft, die ich habe!
Alle: Bravo!
Graf: Wir Güssinger haben dem Türken noch niemals freiwillig Tür und Tor geöffnet, - und wir werden es auch diesmal nicht tun!
Alle: Nieder mit den Muselmanen!
Graf: So ist’s recht, Männer! - Ihr Frauen braucht da nicht mitzureden, verstanden?! Das könnte vielleicht mißverstanden werden!
Frauen: Aber wir haben Hunger, Herr Graf!
Graf: Ach was, der Koch soll euch eine Rein Schmalznockerl machen!
Koch: Wir haben aber nur mehr ein Simperl Mehl, Herr Graf!
Und geschmalzen sind nur die Preise der Schwarzhändler!
Graf: Und was ist mit der Fleischkammer?
Koch: Völlig leergefressen, Herr Graf! Die Schafe haben schon alle dran glauben müssen, und die Hühner brauchen wir für die Eier..
Alle: ...zum schmeissen, - wenn Pech und Schwefel gar sind!
Verwalter: Daß sich ja keiner an meinem Ochsen vergreift! - Denn wer soll nach dem Krieg den Karren den steilen Berg heraufziehen?
Alle: Wir nicht!
Kinder: Wir haben Hunger!
Graf: Hört auf zu jammern, ihr Tagediebe! Ich hab heute auch noch nicht gefrühstückt! - Wenn die Türken wieder fort sind, dürft ihr hinuntergehen zu den Bauern - und essen, soviel ihr findet!
Soldaten: Viel wird nicht mehr übrig sein, - bei dieser gefräßigen Bagage!
Koch: Aber die Schweine werden sie übriggelassen, die Muselmänner!
Graf: Richtig, die essen nur das Geflügel, die Schafe, ...
Frauen: Die Rindviecher auch?
Graf: Die auch, weil die stehen nur in Indien unter Naturschutz!
Koch: Jetzt hab ich auch schon Hunger!
Verwalter: Kein Wunder, wenn dauernd vom Essen die Red' ist!
Graf: Wie gesagt, Leute, morgen...
Alle: murren...
Verwalter: Ruhe, sag ich! Hört’s zu, ihr Gesindel, was der Herr Graf sagt!
Graf: Also morgen, zeitig in der Früh, da stellt ihr das große Mehlfaß auf die rote Mauer, ganz an die Kante, daß man es weithin sieht!
Koch: Was sollen wir mit dem leeren Faß, Herr Graf? Die Türken lachen sich doch eins, wenn sie sehn, daß unser Mehl gar ist!
Graf: Das ist ja der Trick, mein Lieber: Ihr stellt das Faß auf den Kopf!
Koch: Das geht nicht, das ist mir zu schwer, Herr Graf!
Graf: Nicht auf deinen Kopf, du Trottel! - Auf den Kopf...
Koch: Ach so, auf die Guggn, Herr Graf!
Graf: Richtig!
Koch: Und was weiter, Herr Graf?
Verwalter: Na? Denk einmal nach, du Schafskopf! Das Mehl muß obenauf!
Graf: Richtig!
Verwalter: Und die Türken, die Tschapperln werd'n denken das Faß ist voll!
Graf: Richtig! Aus dir wird noch mal was, Verwalter. Und dann der Ochs!
Verwalter: Dem Ochsn gschiecht nix, hab ich g'sagt, Herr Graf, bittschön!
Graf: Jetzt hab ich ihn doch zu früh gelobt, den Trottel! - Es gschiecht ihm schon nichts, dem Ochsen, mein guter Verwalter, außer daß er ein bisserl g'haut wird, der Krampn!
Koch: Daß er schön weich wird, wenn wir ihn braten!
Graf: Unsinn, du Häfergucker! Der Ochse wird nur g’haut, damit er recht laut brüllt. Die Türken soll'n glaub'n, wir hab'm noch eine ganze Herde im Hof, verstanden!!! - Und jetzt an die Arbeit!
Verwalter: Jawohl, verstanden, Herr Graf! Marsch an die Arbeit, ihr G'sindl! Das Mehlfaßl herrichten, das Mehl im Sackl bereitstelln - und dann den Ochs'n anbinden!
Alle: Immer müssen wir die Dreckarbeit machen!
Graf: Also eines sag ich euch, Männer, wenn der Türk morgen abzieht, dann gibt es eine Beförderung, - wegen besonderer Tapferkeit!
Alle: Hurra! Bravo! Es lebe unser Graf!


Und so geschah es auch: Am nächsten Morgen erspähte der Großwesir das Mehlfaß auf der Mauer, nachdem ihn das andauernde Ochsengebrüll aus dem Schlaf gerissen hatte. "Verdammter Mist!" dachte er auf türkisch, als er so nebenbei auf den Kalender schaute. Und auch der Sultan schimpfte laut:


Sultan: Es wird bald Herbst, und wir lungern immer noch in dem Nest herum! Ich werde dich einen Kopf kürzer machen, Großwesir!
Großwesir: Gnade, allerhöchster Padischah, Gnade! Dieser verstockte Graf in der Burg will sich einfach nicht ergeben! - Ein paar Tage noch, und wir haben das Nest ausgehungert!
Dann ist die Burg unser!
Sultan: Nichts da, du Quatschkopf, die haben noch jede Menge zum fressen! Wir müssen weiter nach Wien, bevor es Winter wird. Aufbrechen, sage ich, aber dalli, sonst...! (er deutet "Kopf ab")
Großwesir: Zu Diensten, Eure Hoheit, zu Diensten. Ich eile, ich eile!
Auf geht’s, Muselmänner, Zelte abbrechen, alles einpacken und weitermarschieren!
Die Burg Güssing kann uns gestohlen bleiben!


Und so ging die Belagerung der Burg Güssing zu Ende, ohne daß auch nur ein einziger Türke den Burghof betreten hatte! Der Graf war froh, die Soldaten waren froh, die hungrigen Kinder aßen Schmalznockerl - und die Frauen gingen einkaufen. - Der Ochse aber bekam als Belohnung eine Extraration Heu!

Alle: Hurra! Bravo! Hoch lebe der Ochse!


Quelle: Email-Zusendung von Heinz Koller, 12. März 2002