11. [Die Schädelmühle]

In der Nähe des Dorfes Klausen (Nied. Österr.) steht eine einsame Mühle, die "Schädelmühle" genannt. Der ehemalige Besitzer war erst einige Jahre verheiratet, als seine Frau in einer Nacht plötzlich verschwand und nicht wieder zurückkehrte. Über dieses verschwinden erzählten die Bewohner der Umgegend folgendes. Die jungen Eheleute lebten schon seit der Trauung in fortwährendem Streite. Mismuthig gieng eines Tages der Müller in den Wald, entschlossen selbst mit dem Teufel anzubinden. Nachdem er das hiezu erforderliche Christofsgebet gesprochen hatte, erschien der Teufel und fragte nach seinem begehren. Der Müller sagte, er möchte gern seine Frau los werden. Nach heute hole ich sie, antwortete der Teufel, wenn ihr mich alle Nacht in eurer Mühle malen lasst.

Von nun an hatte der Müller keine ruhige Nacht mehr; denn sobald die Mitternachtsstunde geschlagen, kam zur Mühle ein Wagen mit 6 Pferden bespannt; auf dem Wagen waren Säcke; eines von den Pferden des vorderen Paares war ein Schimmel, der 8 Füße hatte, und auf diesem ritt ein Mann, welcher nur ein Auge hatte; stieg er ab, so konnte man bemerken, daß er mit einem Fuße etwas hinkte. Dieser Fuhrmann gab ein Zeichen und es kam auch der Teufel herbei1), und darauf trugen sie die Säcke, in welchen Menschenköpfe waren, in die Mühle und schütteten sie auf. Dann begann ein fürchterliches treiben und poltern bis zur Morgendämmerung. Einmal als das treiben begonnen hatte, lauschte der Müller um zu erfahren was denn eigentlich in seiner Mühle vorgehe. Er schauderte zurück vor den vielen Menschenköpfen, welche alle zu Staub zerrieben wurden. Wie ward ihm aber erst zu Muthe, als er hören muste, daß auch ihm ein gleiches Schicksal zu Theil werden sollte. Er konnte kein Auge mehr schließen, und besprach sich des andern Tages mit einigen herzhaften Bauern. Sie bewaffneten sich mit tüchtigen Knütteln, und versteckten sich, als die Nacht hereinbrach, in der Mühle. Der Teufel und sein einäugiger Gefährte wollte gerade die Säcke zur Stiege hinauftragen, da brachen die Bauern aus dem Hinterhalte hervor und erschlugen den einäugigen Fuhrmann. Der Teufel, welcher auch tüchtige Schläge erhalten hatte, packte ihn zusammen, warf ihn auf den Wagen und fuhr mit Windeseile davon. Seit dieser Zeit war es in der Mühle ruhig, und die Mühle erhielt den Namen Schädelmühle.

Hier haben wir deutlich bezeichnete mythische Züge. Wuotan ist noch eine von seinem später aIter ego getrennte Person, beide aber haben dasselbe Geschäft. Der einäugige Odinn (Gr. Myth. 133) erscheint also hier auch auf deutschem Boden, ebenso der achtfüßige Sleipnir (Gr. M. 140). Wie der einäugige Sonnengott, der hier dem Hermes gleicht (Gr. M. 150), den Wechsel des Tages und der Nacht schafft, so leitet er auch den Übergang vom Leben zum Tod.

1) Der Erzähler, ein Bauer aus Heiligenkreuz, bemerkte, es seien zwei Personen gewesen.


Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 83f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.