23. [Den Kopf unter dem Arme]
Der Schimmelreiter, der wilde Jäger und andere Geister werden häufig als kopflos gesehen oder sie tragen den Kopf unter dem Arme. Die Volksanschauung scheint sie so als verstorbene, seelenlose zu kennzeichnen. Wir haben folgende Mythen über diesen Zug mitzutheilen. 1)
a.
Ein Bauer der sein verbrecherisches Weib getötet und, wie er glaubte, dadurch die Hälfte ihres Fluches auf sich geladen hatte, begegnete bei Weitra in N. Ö. einem kleinen Männlein, welches in einen weißen Mantel gehüllt war und den Kopf unter dem Arm trug. Das Männchen, dem er sich anvertraut, räth ihm, er möge sich abends unter das Fenster ihres Buhlen stellen, dort werde er hören, wie er sich von der Sünde freim achen könne.
1) Vergl. Grimm Myth. 887. Vernaleken, Alpensagen S. 16. 58. S. Zeitschrift f. Myth. u. Sittenk. IV. 2. 150.
b.
An der Straße zwischen Bisenz und Ung. Hradisch liegt das Dorf
Pisek. Hier erzählen die Bewohner folgendes:
Vor langer Zeit lebte in diesem Dorfe eine Familie, die sich durch eigenen
Fleiß so viel erspart hatte, daß sie sich ein kleines Häuschen
kaufen konnte. Der älteste Sohn dieser Familie gieng einst in den
nahe beim Dorfe gelegenen Wald, der auch an der Straße sich hinzieht,
und den Namen Kladichov führt. Er kam aber nicht mehr zurück,
und alle Mühe, die man sich gab, denselben wieder zu finden, war
vergebens. Bald nachdem der Sohn in Verlust gerathen war, wurde alles
zur Nachtzeit im Hause der Altern beunruhigt. Bald wieherten die Pferde,
die früher stets ruhig waren; bald hörte man ein Geräusch
am Dachboden des Hauses, ja später vernahm man klopfen an der Thüre
und an den Fenstern, und in jeder folgenden Nacht war es im Haust der
Altern fürchterlicher als in allen früheren, bis daß sie
sich zuletzt gezwungen sahen ihre Wohnung zu verlassen und eine neue zu
beziehen; aber auch in dieser ergieng es ihnen nicht anders. Die Familie
suchte auf alle Art ausfindig zu machen was das wäre, aber niemand
konnte etwas entdecken. In dieser Zeit begab sich nun folgendes:
Ein Soldat kam einst spät in der Nacht zum genannten Walde und gieng
an der Straße rüstig fort dem nahen Dorfe Pisek zu. Als er
gegen die Mitte des Waldes kam. hörte er jemanden niesen, ohne eine
Person zu sehen. Er sah sich um, und da er niemanden bemerkte, sprach
er vor sich hin: "Wenn ich auch niemanden sehe, so will ich ihm doch
die Hilfe Gottes Wünschen"; er sah sich abermal um, und da er
wieder niemanden bemerkte, sagte er laut: "Helf' Gott". Aus
dem Walde antwortete es: "Vergelt's Gott, du hast dir und mir geholfen."
Der Soldat erschrack über diese Worte, faßte sich aber gleich,
und fragte weiter: Wer bist du? Die Stimme antwortete: Ein ermordeter.
Und was verlangst du von mir, sprach jener weiter. Warte ein wenig, erwiederte
die Stimme, Der Soldat blieb stehen und sah gegen den Wald hin. Bald erblickte
er einen Mann ohne Kopf, und als er ihn näher betrachtete, sah er,
daß er den Kopf unter dem Arme trug. Als der Soldat diesen Mann
auf sich zu kommen sah, sagte er ihm gleich: Was verlangt er?1)
Der kopflose Mann gab ihm zur Antwort: Willst du mir eine Gefälligkeit
erweisen? Darauf erwiederte der Soldat: Ja. Nun höre mich an, sprach
jener weiter, geh in das Dorf Pisek, in das Haus, das dem Friedhofe gegenüber
liegt, und sage dem Besitzer desselben, er solle seinen ermordeten Sohn
aus dem Walde Kladichov holen und ihn am Friedhofe zu seinen Nebenmenschen
begraben lassen; nach dem Mörder soll er sich nicht erkundigen, denn
er wird der Rache nicht entgehen. Er nannte dem Soldaten noch den Ort,
wo er liege und sprach dann zu ihm: Jetzt gehe mit Gott. Der Soldat gieng
nun in das Dorf und in das ihm bezeichnete Haus, und richtete die Botschaft
aus. Der Vater gieng sogleich am Morgen an den vom Soldaten bezeichneten
Ort, und fand da seinen ermordeten Sohn. Er nahm ihn nach Hause und ließ
ihn auf dem Friedhofe begraben. Von nun an hörte auch die nächtliche
Unruhe auf.
1) Das Volk sagt, man müsse dergleichen ermordete immer nur in der dritten Person anreden.
c.
In Auschwitz (westlich von Krakau) ist eine Ruine, unterhalb welcher ein Schätzesucher Geister gesehen hat, welche die Köpfe unter dem Arme hielten. An der Stelle soll früher ein Kloster gewesen sein. Einer hat eine Prozession aus dem Kloster gehn sehen; jeder hielt eine Fackel in der Hand. In der Mitte saß ein Mann auf einem Rosse und war ganz weiß angezogen; auf seinen Wink kehrte alles um und verschwand. Eines Tages sah man auch auf den Hauptmauern einen großen Mann herumreiten, er war ganz feurig und erleuchtete mit seinem Scheine die Straße.
d.
In einem Haus zwischen Neustadt und Sebenstein ist der verstorbene Knecht
gesehen worden, wie er mit dem Kopfe unter dem Arme gedroschen hat.
In Solnitz (Böhmen) lebte ein Brauer, der sehr hartherzig war, und
beim niederreißen seiner Brauerei verunglückte. Seit der Zeit
soll er umgehen. Alle sieben Jahre erscheint er mit dem Kopfe unter dem
Arme auf einem Pferde reitend. Man sieht ihn dann auf dem Wasser, ganz
feurig, ein eigentümliches Getöse verursachend.
Quelle: Mythen und Bräuche
des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 47ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.