12. [Das weiße Wunderroß]
Einst lebte in Pisek (in Böhmen) ein reicher Fürst, der sehr
große Besitzungen hatte, aber immer mehr und mehr Reichtümer
auf seinem Schlosse anhäufen wollte. Zu diesem Zwecke musten alle
seine Unterthanen, welche gröstentheils Landleute waren, ihren Ackerbau
vernachläßigen und in den Flüssen und Bergen das verborgene
Gold aufsuchen. Da trat plötzlich ein großer Unsegen im Lande
ein; vierzig Wochen war der Himmel wie verschlossen und es fiel kein Tropfen
Regen zur Erde. Da zogen die Bauern scharenweise zu dem Fürsten,
weil das wenige welches er anzubauen erlaubte gröstentheils durch
die große Trockenheit zu Grunde gieng, so daß sie jetzt Mangel
litten. Ein Enkel desselben, Namens Hoimir oder Horimir, der sich bei
dem Volke beliebt machen wollte, von demselben aber immer gehasst war,
nahm sich dieser Sache an und bat den Fürsten, er solle den Bergleuten
wieder Freiheit geben und sie zu ihrer ehemaligen Beschäftigung zurückkehren
lassen. Doch als das Volk erfuhr, daß der von ihm so sehr gehasste
Enkel sich seiner angenommen hatte, so änderte es seine Gesinnung
und stritt gegen Horimir. Es schleppte das Getraide aus den Scheuern auf
freie Plätze und zündete es an, wobei sie riefen: Weil Horimir
sich vor dem Hunger fürchtet, so soll er auch Hungers sterben. Deshalb
flüchtete er, da er sich ohnedieß nicht sicher glaubte. Einige
Tage irrte er im Walde umher, denn sein Schloß lag weit entfernt
an der Moldau und er nährte sich von nichts als Wurzeln und Kräutern,
die er mühsam zusammen suchte. Da erschien ihm eines Tages ein Greis
von hoher und königlicher Gestalt, seinen Leib in ein langes und
weites Gewand gehüllt; sein Bart, der ihm bis zum Gürtel reichte,
so wie das Haupthaar schien von gesponnenem Silber zu sein. An seiner
Hand führte er ein weißes Pferd, dessen Augen gleich Blitzen
leuchteten. Der Greis gab ihm das Pferd, und munterte ihn auf, das auszuführen,
was er im Sinne habe, wobei ihm das Pferd gute Dienste leisten würde.
Als der Greis geendet hatte, öffnete sich der Berg und er verschwand.
Gleich darauf schwang sich der Fürstenenkel auf das Pferd und war
sogleich bei den reichen Gold- und Silberbergwerken des Fürsten.
Dort stampfte das Pferd auf die Erde, worauf plötzlich tausende von
Berggeistern und Zwergen erschienen und mit großem Getöse die
gähnenden Klüfte des Bergwerks verschütteten. Man konnte
kaum mehr die Stelle erkennen, wo das Bergwerk gewesen, und selbst heut
zu Tage findet man außer den tief in Stein eingeprägten Pferdetritten
bei Eule, Pisek und Schittenhofen keine Spur von denselben. - Alsdann
ritt er zu dem Fürsten selbst, ohne ihm aber etwas von dem geschehenen
mitzutheilen. Aber schon am andern Tage brachte man dem Fürsten die
Kunde von der Verschüttung seiner Bergwerke und daß es niemand
anderer gethan habe, als der verhasste Enkel. Darob entbrannte der Fürst
in wildem Zorn und verurtheilte den Enkel zum Tode. Auf seinem letztem
Gange erhielt er die Erlaubnis sein Pferd noch einmal zu besteigen. Sogleich
schwang es sich mit ihm hoch in die Luft über Mauern und Türme
und trug ihn über die Moldau in sein Schloß, wo alle seine
Freunde sich versammelt hatten, um sein Schicksal zu beklagen. Er führte
darauf das Pferd in den Wald, wo es vor seinen Augen in einem Berge verschwand
und nicht mehr gesehen ward. Einige Bauern aber behaupten, daß sie,
wenn eine Landplage nahe ist, das weiße Pferd, welches sie gewöhnlich
Schenik (Schemich) nennen, durch unwegsame Wälder und über Berge
laufen gesehen haben.
Der Fürst war über alles das sehr erstaunt, und er erkannte
jetzt wohl, daß er seine Hand an einen hatte legen wollen, der in
dem unmittelbaren Schutze des Himmels stund. Deshalb sandte er alsbald
Boten auf das Schloß des Horimir und ließ ihm sagen er solle
nur getrost zu ihm kommen, es sei ihm alle Schuld vergeben. Der Enkel
kam auch demüthig zum Fürsten und gestand ihm alles, und auf
welche Weise solches geschehen sei. Darauf setzte der Fürst seiner
Begierde nach Silber und Gold Schranken und hielt die Leute jetzt selbst
an, ihren Boden tüchtig zu bearbeiten. 1)
1) Diese Sage vom Wladiken H. wird abweichend erzählt
z. B. von J. Müller, Wanderungen 5, 14.
Quelle: Mythen und Bräuche
des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 32ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.