30. [Der besorgte Wassermann]

In Röhrawiesen (Nied. Österr.) befindet sich ein kleiner Teich von dem die Leute behaupten, daß er der Aufenthalt eines Wassermanns (Wåssamandls) sei. Dieser Wassermann soll schon sehr alt und daher für die Menschen nicht mehr gefährlich sein. Er soll ferner nur sehr selten sich zeigen, gewöhnlich aber dann, wenn ein Unglück im Anzuge ist. Ehemals war dieser Wassermann sehr gefürchtet, denn jeder, der bei dem Teiche vorbeigieng, wurde von ihm in das Wasser gezogen und muste in demselben ertrinken. Diejenigen, welche ihn gesehen haben, stellen ihn als ein kleines Männchen mit langen Haaren und langem weißen Barte dar. Aus den Haaren soll fortwährend Wasser fließen.

Eine Magd, welche in dem Teiche Windeln waschen (schwab'n) muste, sah den Wassermann am Rande des Teiches sitzen und mit einem großen Kamme sich die Haare kämmen. Die Magd erschrack bei seinem Anblicke und wollte zurücklaufen. Da rief ihr der Wassermann zu, sie solle bleiben, es werde ihr nichts geschehen. Die Magd aber lief nur desto schneller. Da drohte ihr der Wassermann, er wolle sie ersäufen, wenn sie nicht augenblicklich still stehe. Die Magd kehrte um, und fragte den Wassermann, was er von ihr wolle. Ich verlange nicht viel von dir, sagte er, und du sollst für den Dienst den du mir leisten wirst, recht gut bezahlt werden.

Die Magd wollte wissen, was denn das für ein Dienst wäre, und da sagte der Wassermann, sie solle mit ihm gehen, er werde ihr schon zeigen, was sie thun müsse. Die Magd ließ sich herbei, mitzugehen. Da nahm sie der Wassermann bei der Hand, und führte sie in das Wasser. Dieses wich bei jedem Schritte immer mehr und mehr zurück, und als sie unter der Oberfläche desselben waren, zeigte sich ein langer Gang, durch welchen der Wassermann die Magd in eine geräumige Stube führte. Hier war ein Bett, in welchem ein kleines Weibchen lag. Siehst du, sagte jetzt der Wassermann, dieß ist mein Weib, und da sie krank ist, so brauche ich jemanden, der mir die Wirtschaft besorgen kann; und das sollst du thun. Er befahl ihr zuerst etwas zu kochen, was die Magd auch that. Alsdann muste sie die Stube reinigen, die Schlafstätten herrichten, und alle häusliche Arbeit besorgen.

Von der Stube gieng man durch ein enges Pförtchen in einen kleinen Garten, in welchem die schönsten Bäume mit den köstlichsten Früchten stunden. Unter diesen war auch ein Baum, welcher lauter gelbe Blätter hatte.
Als die Magd schon drei Tage bei dem Wassermanne war, wollte sie fortgehen, und er hinderte es nicht. Zum Lohne, sagte er, kannst du dir von dem Baume mit den gelben Blättern eine Hand voll derselben nehmen. Die Magd war erstaunt und fieng laut zu lachen an. Der Wassermann aber sagte, wenn sie die Blätter nicht wolle, könne sie auch leer fortgehen. Dieß wollte die Magd doch nicht, gieng daher in den Garten und nahm sich eine Schürze voll von den gelben Blättern, worauf sie der Wassermann wieder an die Oberfläche des Wassers führte.

Hier suchte sie gleich nach ihren Windeln, die sie am Teiche zurückgelassen hatte; sie war aber nicht wenig erstaunt, als sie dieselben nicht mehr fand. Sie gieng daher nach Hause und fragte, wer die Windeln genommen habe. Niemand aber kannte sie, und erst nach langem Nachdenken fiel es ihnen ein, daß vor drei Jahren sich die Magd entfernt habe, und nicht mehr zurückgekommen sei. Sie muste nun gleich ihre Geschichte erzählen und setzte sich auf einen Stuhl. Dabei fiel ihr etwas aus der Schürze. Jetzt dachte sie erst an die gelben Blätter, und war voll Freude, als sie statt dieser eine Schürze voll Goldstücke hatte.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 203ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.