20. [Der Wassermann flickt]

Bei Seestadtl, einer kleinen Stadt am Fuße des Erzgebirges, liegt an der Straße ein großer Teich, welcher durch einen breiten mit Gebüsch bewachsenen Damm eingeschlossen ist, und "der Steinteich" genannt wird. In diesem Teiche soll sich ein Wassermann öfter am Ufer sehen lassen. Gewöhnlich stickt er dann seine Kleider. Nach dem Glauben der Landleute steigt er immer nur während des Mittagläutens an's Ufer, setzt sich am Fuße des Dammes hart am Wasser nieder und stickt. Wer ihn verspottet, der wird von ihm in's Wasser hinabgezogen; bloß demjenigen, welcher des Morgens vor dem ausgehen gebackene Semmelschnitten verzehrt, kann er nichts anhaben. Hat einer den Wassermann beleidigt und keine Schnitten gegessen, so nutzt ihm selbst das hersagen des Spruches nicht mehr:

"Wassermann plump,
Zieh mich nich in Tump,
Zieh mich nich ze tief nei',
Dos ich nich stecken blei."

Der Wassermann ist immer schlecht gekleidet. Sein alter zerdrückter Hut ist voll großer Löcher, durch welche oft Büschel struppiger grüner Haare herausragen. Sein Gesicht ist mit einem starken Barte bewachsen, und wenn er seinen Mund öffnet, erblickt man seine großen, grünen Zähne. Sein Rock so wie seine Hose sind immer zerrissen und kothig, und er flickt daran, so oft er an's Ufer steigt. Hat er jemandem nachgestellt und ihn unter's Wasser gezogen, so läßt er sich lange nicht sehen.

Eines Morgens trug ein Bauernmädchen Gemüse hinauf nach Eisenberg, und nahm, um zuzustrecken, ihre Richtung über den Damm. Sie war fast hinüber, als sie unten am Damme einen alten Mann sitzen sah, der an einem zerrissenen Rock stickte und ihr zunickte. Das Bauernmädchen, welche eben nicht an den Wassermann dachte, gab ihm einen Schimpfnamen, worauf sich der Wassermann erhob und seinen Mund öffnete. Die Bäuerin erschrack, und lief, so schnell es ihre schwere Last erlaubte, über den Damm hin; der Wassermann hinter ihr drein, trotz ihres schreiens sprang er auf den Korb, den sie auf dem Rücken trug und faßte sie beim Halse. Vor Todesschrecken schrie sie: "Jesus, Maria!" Und sogleich war der Wassermann verschwunden. Das Mädchen kam halbtot im Schlosse an, und wurde noch dazu ausgelacht, als sie vom Wassermann erzählte. Nach 3 Tagen starb sie und alle Leute waren fest überzeugt, daß daran nur die Berührung des Wassermannes schuld sei.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 191f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.