4. [Der Radhost]

Vor Zeiten kamen drei Männer in schwarzen Gewändern alljährlich im Sommer auf den Radhost. Sie hielten sich immer bei einem Hirten mit Namen Batscha auf, und wurden von diesem mit Molken und Schafkäse bewirtet.

Im zwanzigsten Jahre sagten die drei schwarzen Männer zum Batscha: "Wir haben uns zwanzig Jahre bei euch aufgehalten, und immer wurden wir von euch gastfreundlich mit Molken und Schafkäse bedient. Was ihr hattet, das gäbet ihr uns umsonst; wir wollen euch euere Gastfreundlichkeit entgelten; nehmet einen Sack und kommt mit uns." Da nichts anders zu finden war als eine Ledertasche, so nahmen sie diese und hiengen sie dem Batscha auf die Schulter. Auf dem Wege sagten sie, er solle sich nicht fürchten, nur wenn sie in die Gegend kommen würden, wo man in den Radhost eintrete, solle er nichts mehr mit ihnen sprechen, und alles thun was sie thun würden. Sie kamen nun zu einer Grotte des Radhost. Hier knieten sie nieder und beteten. Auf einmal sah Batscha eine Thür in der Grotte, und der älteste von den drei Männern stund auf, nahm den Schlüssel und öffnete mit demselben die Thüre. Als sie in's Innere eintraten, schloß sich die Thüre von selbst, und sie giengen abermals durch einen finstern Gang lange Zeit, bis sie wieder ein Licht erblickten. Sie fanden dort einen ungeheuern Raum, wo sie nichts als schöne grüne Wiesen sahen, durch welche ein Fluß strömte. Über diesen führte eine kleine Brücke, an deren Ende ein fürchterliches Ungeheuer lag. Damit sich Batscha nicht fürchte, nahmen ihn die drei Männer zwischen sich und so giengen sie glücklich über die Brücke. Nun kamen sie zu einem Felsen, und auch da knieten sie nieder und beteten. Hier erblickte abermals Batscha eine Thüre; der älteste von den dreien stund auf, und öffnete mittelst eines Schlüssels die Thüre. Endlich kamen sie in ein Gemach wo Bänke stunden, an welchen Fransen hiengen. Nun begannen die Männer mit Batscha zu sprechen, befahlen ihm, er solle sich die Fransen nehmen und in die Ledertasche thun. Er hatte jedoch keinen Muth dazu, und sagte: Was soll ich damit? Die drei Männer nahmen ihm die Tasche ab, und als sie gefüllt war, hiengen sie ihm diese auf die Schulter mit den Worten: Schau nicht früher hinein, als bis du draußen bist. Dann kehrten sie zurück auf demselben Wege, beteten aber bei einer jeden Thüre. Als sie draußen waren, befahlen sie dem Batscha, er solle in seine Tasche hineinschauen - diese war mit Gold und Silber gefüllt. Freudig bat Batscha die drei Männer, sie sollten mit ihm gehen, und ein kleines Mahl von Schafkäse und Molken zu sich nehmen. Das geschah, und als sie gegessen hatten, sagten sie dem Batscha, sie würden nicht mehr auf den Radhost kommen, indem sie in ihre Heimat berufen seien. Zugleich baten sie ihn, er möge sie noch auf den Gipfel des Radhost begleiten, wo er auch ihren Abgang sehen werde. Auf dem Wege vertrauten sie ihm, wer und woher sie seien, nämlich "Schwarzkünstler aus Paris im französischen Reiche". Als sie nun den höchsten Gipfel erreicht hatten, nahm ein jeder von ihnen seinen Mantel, legte ihn auf den Boden und sie setzten sich auf denselben. In kurzer Zeit begannen sie sich zu heben und plötzlich, wie wenn sie der Wind ergriffen hätte, waren sie verschwunden, und niemand hat sie mehr gesehen.

Bald darauf fanden sich drei Hirten, welche auch gern reich geworden wären, und giengen deshalb in diese Grotte mit einer Laterne. Im ersten Räume erblickten sie drei Geräthe in Form von Wannen. Voll Neugier sahen sie hinein, allein plötzlich flog ein großer Hahn1)heraus, der mit dem wehen seiner Flügel ihnen das Licht auslöschte. Sie musten zurückkehren, ohne Silber und Gold. Sie besprachen sich noch einmal hinein zu gehen, jetzt aber wollten sie einen vierten und zwei Lichter mitnehmen; der vierte, meinten sie, bleibt draußen, die drei binden sich mit Spagat an, dessen Ende der draußen stehende halten soll; der wird immer nachlassen, und wenn sie nicht hinaustreffen sollten, so wird der Spagat ihr Führer sein. So giengen sie in die Grotte und sie sahen dort wieder die drei Geräthe. Abermals flog aus jedem ein großer Hahn heraus, welche durch das wehen ihrer Flügel ihnen beide Lichter auslöschten.

1) "Unter bei Erde singt der schwarzrothe Hahn in den Sälen Hels." Wöluspa 35.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 114ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.