Die klugen Rinder

Bei einer Seilbahn zur Kohlenförderung wurde vom Bergbauunternehmer nur der für die Stützen in Anspruch genommene Grund durch jährliche Abgeltung des für diesen entfallenden Futterertrages vergütet. Die Fläche unterhalb der Seile konnte von den Grundbesitzern weiter bewirtschaftet werden, und es wurde daher hierfür auch kein Ersatz geleistet.

Nach einiger Zeit verlangten jedoch die Grundbesitzer, dass auch die unter den Seilen gelegenen Flächen vergütet werden müssten, weil ihr Vieh das dort gemähte Gras nicht fressen wolle. Eine eingehende Untersuchung des Grases ergab, dass dieses wohl zeitweilig durch herabtropfende Seilschmiere verunreinigt wurde und den Tieren auch der Geruch unangenehm war, weshalb sie das Futter nur ungern nahmen. Aber Probefütterungen mit getrocknetem Heu von diesen Stellen ergaben, dass das Vieh das Heu annahm und ohne Gesundheitsstörung fraß. Die Bauern wurden mit ihren Ansprüchen abgewiesen, zumal auch fremdes Vieh das unter den Seilen gemähte Futter gerne annahm. Die Klagen fanden aber kein Ende und einer der Grundbesitzer behauptete steif und fest, dass zwei seiner Rinder das Seilbahnfutter nicht berührten. Der Augenschein bestätigte diese Angaben. Die beiden Tiere fraßen das vorgelegte Heu nicht, obwohl andere Rinder es sich wohl schmecken ließen. Mit dem Bemerken: „Die Rinder werden es schon fressen, wenn sie Hunger haben", wurden die Bauern abermals abgewiesen.

Dem Revierbeamten verursachte aber die störrische Ablehnung des Futters durch die beiden Rinder doch einiges Kopfzerbrechen und er ging mehrmals nach Werksnachschauen die Seilbahntrasse ab, wobei er mit seinem Stock das Gras zerteilte und auch die abgemähte Fläche eingehend untersuchte. Dabei fand er eines Tages des Rätsels Lösung in Form einen kleinen Drahtspirale. Es stellte sich heraus, dass diese durch Abnützung des Seiles infolge des Huntelaufes abgeschert, vom Seil abgebrochen und herabgefallen war.

Die störrischen Rinder hatten also offenbar mit dem Heu eine oder die andere Spirale oder ein Seilstückchen in das Maul bekommen und sich verletzt. Da ihnen dies mit dem Heu zugestoßen war, das ob der Tropfschmiere einen bestimmten Geruch hatte, fraßen sie dieses Heu nicht mehr.

Die Rinder waren klüger als die Menschen. Sie witterten eine Gefahr, die jene nicht ahnten.

Daraufhin wurde ein Ausgleich getroffen, der die Bauern befriedigte, indem er es ihnen ermöglichte, auf das Futter unter den Seilen zu verzichten.

Mitgeteilt von Dr. Felix Bussen, damals Revierbeamter in Graz, später Generalsekretär der Oesterreichisch-Alpine Montangesellschaft.

Quelle: Paul Ippen, Denk- und Merkwürdiges aus dem österreichischen Bergbau, Wien 1965, S. 17 - 18.
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