DER KUHBANNER
Auf Guscha hütete vor Zeiten ein junger Triesner das Vieh. Dort hatte
ein Bauer eine Tochter gleichen Alters, und die beiden sahen sich gern.
Unglücklicherweise entstammte der Küher einem jener drei Geschlechter,
die nach dem Volksglauben keine Ruhe finden sollten, sondern dazu verdammt
waren, im "Rasslatobel" zu geisten und die Sünden ihrer
Vorfahren zu büssen.
Im Herbst vor dem Heimgang fasste sich der Junge doch ein Herz und bat
den Bauern um die Hand seiner Tochter. "Einem Katholiken und noch
dazu einem Tobelhocker gebe ich meine Tochter nie zum Weibe", war
die Antwort. Wohl zersprengten die harten, ungerechten Worte dem Jüngling
fast das Herz, doch konnte er sich beherrschen und antwortete scheinbar
gelassen: "Du wirst deine Antwort bereuen und noch an mich denken",
und er verliess Haus und Guscha.
Etwa eine Stunde später, der Hirt hatte die Fläscher Unter-Steigwiesen
erreicht, entstand unter der Viehhabe furchtbare Aufregung. Wie immer
nach der Alpentladung weideten die Kühe unbehirtet auf den Gütern.
Mitten in der Herde stand die schönste Kuh des Bauern. Plötzlich
fing sie an, unter furchtbarem Gebrüll talwärts zu rutschen,
ohne sich wehren oder die Richtung ändern zu können. Sie rutschte
auf allen vieren, und die Schrammen der Füsse sollen noch lange sichtbar
gewesen sein.
Durch das Gebrüll der übrigen Tiere aufmerksam gemacht, sahen
die Guschner, wie die Kuh erst in den untersten Gütern, wo eigentlich
kein Tier mehr trolen konnte, sich überschlug, bis sie zerschellt
in den "Guschenköpfen" lag.
Das war die Rache des Hirten, der die Kuh gebannt hatte.
Quelle: Sagen aus Liechtenstein, Otto Seger, Nendeln/Liechtenstein,
1966/1980, Nr. 61