DER GEIGER AUF DEM VADUZER GALGEN
Geiger Hans-Jöri ging spät abends von Sargans über den
Rhein in die Grafschaft Vaduz, wo er zum Tanz aufspielen sollte. Als er
unter Balzers hinkam, dunkelte es schon tief. Unversehens wurde er da
an der Strasse von schön gekleideten Leuten beiseite gerufen und
traf eine glänzende Gesellschaft.
Man hiess ihn auf eine Bühne sitzen, wo er auserlesenes Essen und
Trinken vorfand; ein Herr aber bedeutete ihm, er möge sich durch
nichts beunruhigen lassen, auf nichts achten und namentlich keine Gesundheit
trinken. Das fiel ihm zwar auf, aber er schwieg, spielte und liess sich's
schmecken. Es wurde toll und bunt getanzt, nur kümmerte sich niemand
um ihn, so dass er sich schliesslich doch langweilte. Der Mahnung vergessend,
sagte er nach seiner Gewohnheit in sich hinein: "Gesundheit, Hans!
Gesegne dir's Gott, Hans! So geschieht dir nichts!"
Kaum war ihm das über seine Lippen gekommen, war alles verschwunden.
Es ging gegen den Morgen, und der Geiger fand sich auf dem Vaduzer Galgen
sitzend, statt des silbernen Trinkbechers einen Kuhhuf in der Hand.
Quelle: Sagen aus Liechtenstein, Otto Seger, Nendeln/Liechtenstein,
1966/1980, Nr. 62