Die Wasserwieren nach dem Hof Betall



Die Betallerwiesen liegen auf wasserarmen Berglehnen. So entschloß sich der Betallerbauer, eine künstliche Wasserleitung zu bauen, die freilich viel Geld und viel Arbeit kostete. Mit dem Bauer zu Nassereith im Pfossental kam er überein, daß er die Quelle am "Kleinen Texelferner" fassen und entlang der steilen Felswände nach Betall leiten konnte. Zu diesem Zwecke wurden die nötigen Wasserwieren hergerichtet. Die Holzwier ist ein Wasserkanal aus drei Brettern, die rechtwinkelig zusammengefügt werden. Die Wieren wurden hoch droben an den Felswänden gut befestigt und in leichtem Gefalle nach Betall geleitet. Endlich war die einfache Wasserleitung gebaut. Aus Freude darüber wurde am "Niederspitz" mit Böllern geschossen, um es weithin über Berg und Tal zu verkünden. Oberhalb Nassereith wurde eine eigene Hütte aufgestellt, die Vigilenhütte, für den Wasserwaaler; er hieß Vigilius. Nun wurde das Quellwasser in die Wieren eingeleitet. Nur zweimal konnte das Texelwasser nach Betall aufgekehrt werden. Dann brach etwa um das Jahr 1865 in der Nacht von einem Samstag auf einen Sonntag am "Kleinen Texelferner" eine verborgene Wasserstube aus, die sofort dem Menschenfleiß und dem Fortschritt ein jähes Ende bereitete. Das flutende Wasser wälzte ungeheure Bergsteine und Felsstücke ins Tal hinab. Mächtige Eisblöcke krachten ins Pfossental herab und schlugen mit Getöse auf. Eine Reihe von Wasserwieren wurden von den Felsen herabgerissen. Von der großen Nassereitherwiese wurde ein schönes Stück übermurt. Wasser und Geröll drängten das Pfossental heraus und bedrohten ernstlich den Infanglerhof. Die Infanglerleute gingen schon daran, das Haus auszuräumen. Doch nach einiger Zeit sank das Wasser. Die Kirchleute vom hinteren Pfossental, die am Sonntag nach Karthaus zur Sonntagsmesse herausgingen, mußten auf schwierigen Umwegen nach Infangl hinabsteigen. Der Kirchweg war arg verschüttet mit Eisblöcken, Steinen und Schlamm.

Seither hatte der Betallerbauer keine Lust mehr, Wasserwieren zu errichten und zu erhalten. Der große Nutzen wäre augenscheinlich gewesen. Soweit die zweimalige Bewässerung auf die Betallerwiesen geführt werden konnte, war auch das Wachstum wie neu belebt zu beobachten! Der Klee wuchs geradezu bürstendick aus dem Boden. Das Texelwasser wäre ein sehr gutes Wiesenwasser gewesen! Der Bauer zu Nassereith räumte auf der übermurten Wiese auf und legte da und dort einen Erdäpfelacker an. Bis etwa 1920 wurden diese Äcker bepflanzt, gejätet und eine gute Erdäpfelernte gehalten.

Genau vor zweihundert Jahren, etwa 1765, brach das erstemal diese Wasserstube aus. Auf der Wiese bei Nassereith waren die Dienstboten mit der Heuernte beschäftigt und hatten ihre Leiterwagen draußen stehen. Sie hielten gerade ihre Märende, als auf einmal durch die wilde Bergschlucht ein schreckliches Poltern und Rauschen losging. Ein unheimliches Wetter brach da droben los. Die Dienstboten flüchteten schleunigst aufwärts gegen Nassereith. Sie zitterten vor Angst und Schrecken. Die Heuwagen kamen alle unter das Geröll. Ein Heuwagen wurde von einem riesigen Bergstein verschüttet. Unter dem Riesenstein bildete sich eine Höhle. Wenn man kniend durch den Höhleneingang hineinschaut, erblickt man heute noch ein Wagenrad. Im Pfossental geht die Rede, daß diese Wasserstube am "Kleinen Texelferner" alle 100 Jahre ausbrechen wird. Für das Jahr 1965 erwartete man mit Sicherheit den Ausbruch, doch bis heute erfolgte er nicht.

Vor Jahren warf ein Hirte droben am Texel einen Stein in die tiefe Schlucht hinab und erst nach einiger Zeit hörte er den Stein im Wasser aufplumpsen.

Quelle: Die Kartause Allerengelberg im Schnalstal, Rudolf Baur, Bozen 1970, S. 102.