DER SCHATZ AUF ROTUND

Bei Taufers im Münstertal steht neben den Schlössern Helfmirgott und Reichenberg die Burg Rotund. Sie ist auch verfallen und schmückt nur mehr als stolze Ruine das Tal, durch das Kaiser Karl und andere deutsche Kaiser und Könige nach Italien gezogen sind.

In den Kellern, die unter den Ruinen liegen und unzugänglich sind, sollen große Schätze verwahrt sein. Vor etwa achtzig Jahren hüteten zwei Knaben bei Rotund Ziegen, und gingen, um sich die Zeit zu vertreiben, in das Schloß. Da fanden sie zu ihrem größten Staunen eine noch nie gesehene Tür, die in gutem Stande war. Neugierig öffneten sie und traten ein. Da kamen sie in einen großen, gewölbten Keller, an dessen Wänden ringsherum Kästen waren, in denen Roßgeschirre, Zügel und ähnliche Sachen sich befanden.

In der Mitte lag ein Kohlenhaufen, bei dem ein schöner, großer Bock stand. Als die Knaben alles besehen hatten, sprach der ältere: "Jaggl, nimm so ein Geschirr, das könnt ihr für euren Esel brauchen." "Ich nehm's nicht", entgegnete Jaggl, "sondern ich laufe schnell zum Vater hinab und mach ihn heraufgehen. Er kann dann nehmen, welches er will."

Gesagt, getan! Beide liefen zum Feld hinab, wo Jaggls Vater arbeitete, und erzählten, was sie im Schlosse droben gesehen hatten. "O ihr Dundersfratzen", rief er, "hättet ihr doch eine Nuster (Paternoster) droben gelassen, und wir könnten den Schatz heben. So aber ist er wieder verloren." "Oh, wir wissen das Törl und den Keller ganz gut", sprachen die Knaben und baten den Vater, mitzukommen. Zu dritt gingen sie nun nach Rotund, aber weder Türe noch Keller war zu finden. Der Schatz hatte schon verblüht und kommt erst nach hundert Jahren wieder zum Vorscheine. (Taufers.)

Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 539, S. 303