WIE DIE GOLDENE STADT AUER VERSCHÜTTET WIRD

An der Stelle, wo jetzt das Dorf Auer steht, war vorzeiten eine große Stadt, welche wegen ihrer Schönheit und des ungeheuren Reichtums die goldene Stadt Auer genannt wurde. Die Ursache der Zerstörung derselben war der in der Nähe vorbeifließende furchtbare Auerer Wildbach. Derselbe schwoll einst infolge anhaltender Regengüsse so an, daß er mit schrecklichem Getöse über die hohen Felswände des Leiterberges abstürzte und die ganze Stadt in tiefem Schutt begrub. Nur die St.-PetersKirche und das Schloß Leiter blieben verschont.

Die Volkssage schreibt die Zerstörung der goldenen Stadt Auer der Gottlosigkeit zu, in welche ihre Einwohner verfallen waren. Selbst die Geistlichen hätten unter Trunk und Spiel den Gottesdienst versäumt und in der Heiligen Nacht einmal mit solcher Leidenschaft gespielt, daß sie um 12 Uhr die Christmette abzuhalten vergaßen!

Nur ein Mann war noch in der Stadt, der rechtschaffen vor Gott und den Menschen wandelte. Dieser befand sich eines Tages auf dem Weg nach der St.-Peters-Kirche. Da stand plötzlich ein schöner Jüngling vor ihm und sagte, indem er auf einen Berg hindeutete: "Steig morgen früh auf diesen Berg hinauf, aber ganz allein, und du wirst dann die Wunder des Herrn sehen." Der Mann tat so, wie ihm der Jüngling befohlen hatte, und er sah von diesem Berge aus, wie das Wasser die sündige Stadt zerstörte.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 501