MISERE

Als Christus einst als Bettler verkleidet auf der Erde wandelte, um die Menschen zu prüfen, kam er zu einem stolzen Bauernhause. Darin herrschten überfluß und Reichtum, und die Bäurin badete sich anstatt in Wasser in fetter, süßer Milch. Dieser Überfluß rührte aber vom Kräutlein Misere her, das auf allen Feldern und Wiesen üppig wuchs und die Kühe milchreich machte. Jesus bat die stolze Bäuerin um ein Almosen, doch umsonst. Er wurde im Gegenteil mit harten Worten von der Türe gewiesen. Da sprach Christus:

"Misere
Wachs unterm Schnee!"

Seitdem verschwand im Tale dieses Kräutlein und mit ihm der Segen. Es ist nur mehr hoch auf den Bergen zu finden. (Ulten und Ötztal.)

Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 263, S. 163